Quelloffenheit sorgt für Sichtbarkeit

Dr. Wolf-Peter Schill über seine Open-Science-Erfahrungen

Foto von Dr. Wolf-Peter Schill

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Offene Modelle sind eine notwendige Bedingung für Transparenz und Peer-Review.
  • Für Veröffentlichungen ist Quelloffenheit oft ein Beschleuniger.
  • Open Science steigert die Bekanntheit in der internationalen Community.


Herr Dr. Schill, von welchen Open-Science-Praktiken profitieren Sie in Ihrem Forschungsbereich besonders?

WPS: Meine Forschungsgruppe beschäftigt sich mit dem Umstieg der Energieversorgung auf erneuerbare Energien und mit dem Thema Sektorenkopplung. Um mögliche Zukunftsszenarien quantitativ zu untersuchen und Aussagen beispielsweise zur Rolle einzelner Technologien treffen zu können, nutzen wir die Stromsektormodellierung. Und damit kam für mich auch der Einstieg ins Themenfeld Open Source und Open Data, denn einerseits brauchen wir für unsere Modelle natürlich Input-Daten – und für die Modellergebnisse ist es ganz entscheidend, welche Inputdaten man genutzt hat. Und andererseits kann man die Modellgleichungen natürlich in einem Fachartikel beschreiben, aber idealerweise zeigt man gleich sein ganzes Modell, um die Berechnungen reproduzierbar und transparent zu machen. Vor einigen Jahren haben wir deshalb begonnen, die Codes und die Inputdaten von unseren Stromsektormodellen frei zur Verfügung zu stellen.


Welche positiven Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

WPS: Für mich gab es da tatsächlich ein Schlüsselerlebnis: Vor ein paar Jahren hatte ich einen Artikel bei einem ziemlich hochrangigen Fachjournal eingereicht. In der ersten Review-Runde waren die Kommentare positiv bis gemischt, es gab einige Rückfragen. In diesem Stadium habe ich mich entschieden, den Code freizugeben. Ich habe das Modell dann einfach auf Zenodo. hochgeladen und es war eindeutig sichtbar, dass das der Moment war, in dem ich auf einen Schlag drei Reviewer komplett überzeugen konnte. Vermutlich auch deshalb wurde der Artikel dann letztlich in diesem Journal veröffentlicht. Dieses Ereignis hat mir ganz klar gezeigt, dass Offenheit große Vorteile mit sich bringt.


Denken Sie, dass das auch heute noch so wäre?

WPS: Inzwischen hat sich sicherlich einiges getan. Ich persönlich sehe die Reproduzierbarkeit solcher Modellanalysen heute als fundamentale Voraussetzung dafür, überhaupt eine ernsthafte Begutachtung vornehmen zu können. Ein Peer Review rein auf Basis der verschriftlichten Ergebnisse muss natürlich viel oberflächlicher bleiben. Insofern ist es nur gut und richtig, dass die Nutzung und das Teilen von Modellcodes und offenen Daten mehr und mehr zum Standard werden. Andererseits bedeutet Quelloffenheit noch lange nicht, dass die Modellanalysen auch tatsächlich einfach und nutzerfreundlich zu reproduzieren sind. Sie ist in meinen Augen eine notwendige Voraussetzung für Reproduzierbarkeit, aber nicht unbedingt hinreichend für die tatsächliche Umsetzung. Wir haben da, auch in unserer Gruppe, noch viel Luft nach oben, bis unsere Modelle so aufbereitet sind, dass man sie leicht verstehen und nutzen kann. Insbesondere im Bereich der Dokumentation sind wir da am Ball, aber das bringt auch einen gewissen Zeitaufwand mit sich, das darf man nicht vergessen.


Denken Sie denn, dass die Quelloffenheit langsam Mainstream wird?

WPS: An Universitäten sicherlich, bei anderen Forschungsinstituten teilweise noch nicht. Gerade bei sehr großen Energiesystemmodellen gibt es ja auch gewisse Pfadabhängigkeiten, in denen steckt unheimlich viel Entwicklungsarbeit und es werden teilweise proprietäre Daten genutzt. Das macht es dann auch institutionell schwieriger, die Modelle quelloffen bereitzustellen. Da haben wir es am DIW Berlin ein bisschen leichter – wir haben unser eigenes Stromsektormodell mit dem tollen Namen DIETER, das haben wir selbst entwickelt und die Quelloffenheit gleich von Anfang an mitgedacht.


Hat Ihre Zusammenarbeit mit anderen Institutionen davon profitiert?

WPS: Unbedingt. Ich sehe da zwei Aspekte: Erstens hat die Quelloffenheit eine gewisse Sichtbarkeit gebracht. Das hat schon mehrfach dazu geführt, dass sich Kolleg:innen bei mir gemeldet haben, die unser Modell dann in einem ganz anderen Kontext genutzt haben. Eine Gruppe aus Singapur hat mit einem DIETER-Derivat gearbeitet, und in Australien hat eine staatliche Institution für einen offiziellen Report unser Modell benutzt. Und neulich habe ich zum Beispiel über Twitter erfahren, dass eine Gruppe in Frankreich eines unserer Modelle angewandt hat. Das ist schon toll – und daraus entstehen auch neue Kontakte, die es ohne diese Quelloffenheit sicher nicht gegeben hätte.

Der zweite Aspekt ist die Art, wie man den Modellcode teilt. Das Minimum ist wie gesagt, den Code einfach irgendwo zu hinterlegen, zum Beispiel auf Zenodo. Inzwischen nutzen aber immer mehr Modellierer:innen modell-basierte Systeme wie GitHub und GitLab. Die bieten nicht nur die Möglichkeit, den Code zu teilen, sondern auch dessen Entwicklung sichtbar zu machen – und vor allem ermöglichen sie die Partizipation von Externen. Andere Leute können Verbesserungsvorschläge machen oder eigene Beiträge ergänzen, und man kann direkt überprüfen, ob dies dann zum Beispiel in die Master-Branch aufgenommen werden soll oder nicht. Das ermöglicht also tatsächlich eine externe Kollaboration über reines Teilen hinaus.

Dass wir unsere Arbeit mit Git strukturieren hat übrigens noch einen weiteren Grund: Obwohl wir eine relativ kleine Forschungsgruppe sind, gab es irgendwann doch sehr viele Versionen des Modells – das macht es unübersichtlich. Und wenn man dann die Versionskontrolle intern ohnehin macht, um aufzuräumen, kann man auch gleich eine öffentliche Version bereitstellen. Ich selbst bin noch ein ziemlicher Git-Neuling – ich profitiere da sehr von meinen jüngeren Kolleg:innen, für die die Arbeit mit Git total normal ist.

Unbedingt nennen möchte ich beim Stichwort Zusammenarbeit auch die Open Energy Modelling Initiative. Sie hat uns letztlich das Offenstellen unserer Forschung deutlich erleichtert und uns auch in Kontakt mit vielen sehr interessanten Leuten gebracht. Die Website ist generell eine tolle Ressource für alle, die in den Bereich der offenen Energiemodellierung einsteigen wollen. Da gibt’s auch ein Wiki, das eine sehr gute Übersicht gibt, zum Beispiel über verschiedene Arten offener Lizenzen.


Bringt diese Offenheit auch Herausforderungen mit sich?

WPS: Sicher. Wir haben zum Beispiel beim Aufbau der Plattform Open Power System Data mitgemacht. Da geht es darum, dass man Daten für die Energiemarkt- oder Energiesystemmodellierung aus allen möglichen freien Quellen sammelt und an einer zentralen Stelle in einer qualitätsgeprüften und aufbereiteten Fassung bereitstellt. Dabei sind viele Fragen aufgetaucht, insbesondere hinsichtlich der Lizenzen. Das war für alle Beteiligten ein großer Lernprozess, aber es tut sich inzwischen auch einiges.

Das Interview wurde geführt von Dr. Doreen Siegfried.

Das Interview wurde geführt am 07.12.2020.


Über Dr. Wolf-Peter Schill

Wolf-Peter Schill ist stellvertretender Leiter der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin und leitet den Forschungsbereich „Transformation der Energiewirtschaft“. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Integration erneuerbarer Energien in die Energieversorgung, Energiespeicher, die Elektromobilität und andere Optionen der Sektorenkopplung. Methodischer Schwerpunkt seiner Arbeiten ist die quelloffene Stromsektormodellierung. Am DIW Berlin arbeitet er im Rahmen diverser Forschungsprojekte, finanziert unter anderem von verschiedenen Bundesministerien und der Europäischen Kommission. Er ist aktives Mitglied des Leibniz-Forschungsverbunds Energiewende und der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität.


Kontakt: https://www.diw.de/de/diw_01.c.63111.de/personen/schill__wolf-peter.html

ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0002-6981-7487

IDEAS/RePEc: https://ideas.repec.org/f/psc650.html

Twitter: https://twitter.com/WPSchill




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