Gemeinsam für eine offene Wissenschaft
Im Gespräch mit Dr. Anna Maria Hoefler über das Open Science Retreat der ZBW
Foto: Rupert Pessl
Offene und nachvollziehbare Wissenschaft ist ein Ideal, auf das man nur durch gemeinschaftliche Anstrengungen hinarbeiten kann. Das heißt: Wissenschaftler:innen zusammen mit Wissenschaftskommunikator:innen, Data Stewards, Bibliothekar:innen, Verleger:innen, Herausgeber:innen und Akteur:innen der Wissenschaftspolitik. Aus diesem Grund hat die ZBW im Jahr 2021 das internationale Open Science Retreat ins Leben gerufen.
Seit dem ersten Kick-Off-Retreat hat die ZBW mittlerweile sieben Vernetzungsforen durchgeführt. Das achte Retreat ist bereits für März 2025 geplant und wird sich mit dem Thema „Artificial Intelligence and Open Science“ beschäftigen.
Das Open Science Retreat ist ein intensives, auf den Austausch fokussiertes Format über zwei Tage, das auf 30 Teilnehmende begrenzt ist und sich großer Beliebtheit erfreut. Eine der treibenden Kräfte hinter dem Retreat ist Dr. Anna Maria Hoefler, Koordinatorin für wissenschaftspolitische Aktivitäten an der ZBW, die wir heute im Open-Science-Magazin begrüßen dürfen.
Was war die ursprüngliche Motivation für die Initiierung des Open Science Retreats und welche Ziele verfolgt die ZBW mit diesem Format?
AMH: Open Science umfasst ja bekanntlich unterschiedliche Dimensionen, und die Umsetzung von offenen Praktiken kann recht komplex sein. Außerdem ist es notwendig, dass verschiedene Interessengruppen einbezogen werden, wenn es darum geht, Rahmenbedingungen und Umsetzungspfade für mehr Offenheit zu entwickeln. Daraus entstand der Gedanke, ein Format zu schaffen, das dies ermöglicht.
Wie werden die Themen für die verschiedenen Sessions des Open Science Retreats ausgewählt, und welche Rolle spielt dabei die Open Science Community?
AMH: Für die ersten Retreats haben wir ZBW-intern die Themen festgelegt. Wir haben also aus unseren jeweiligen Arbeitsbereichen im Open-Science-Kontext abgeleitet, welche Themen gerade besonders relevant erscheinen. Weil es uns ganz wichtig war und ist, uns an den Bedürfnissen und Interessen der Teilnehmenden zu orientieren, haben wir dann die Retreat-Community befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung haben eine Reihung für die darauffolgenden Retreat-Themen ergeben. Die Veranstaltung im März 2025 mit dem Thema „Artificial Intelligence and Open Science“ ist seit längerer Zeit wieder die erste, die sich nicht aus der Befragung, sondern einfach daraus ergeben hat, dass sich das Thema förmlich aufdrängt.
Welche Bedeutung hat die internationale Vernetzung für die Förderung von Open Science, und wie trägt das Retreat konkret dazu bei?
AMH: Durch die internationale Ausrichtung der Retreats bekommen die Themen eine ganz andere Tiefe. Dabei sind zwei Aspekte erwähnenswert: Erstens: Die Internationalität der Teilnehmenden war uns von Anfang an wichtig, um erfahren zu können, wie bestimmte Themen in den verschiedenen Ländern adressiert und gehandhabt werden. Zweitens: Das jeweilige Thema wird beim Retreat eingeleitet durch mehrere kurze Impulsvorträge von Expert:innen, die Zugänge und Lösungen aus der Perspektive ihrer jeweiligen Interessensgruppe heraus vorstellen. Diese Impulsvorträge sind ein großartiger Input für die nachfolgenden, intensiven Diskussionen.
Die Themen der bisherigen Retreats sind vielfältig. Welche inhaltlichen Schwerpunkte haben sich aus den Diskussionen als besonders relevant herauskristallisiert?
AMH: Mein Eindruck ist, dass die Themen, also die unterschiedlichen Open-Science-Dimensionen, nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können und es an vielen Stellen im Wissenschaftssystem Aktivitäten bzw. Anpassung der Rahmenbedingungen braucht. Nur als Beispiel: Wir hatten kürzlich einen Open-Science Retreat zum Thema „Reproducible Research and Open Science“. Damit es „normal“ wird, dass Forschung reproduzierbar bzw. replizierbar ist, braucht es u. a (1) die notwendigen Kompetenzen, das heißt wie muss ich als Wissenschaftler:in meine Forschungsergebnisse aufbereiten; (2) Prozesse, wie reproducibility checks organisiert bzw. entsprechende „Zertifikate“ vergeben werden können; (3) Anreize für Forschende bzw. konkrete Vorgaben von Forschungsförderern und Verlagen. Dazu aber wiederum muss das Bewertungssystem in der Wissenschaft dies aber auch abbilden. Zudem braucht es vermutlich auch eine entsprechende „kritische Masse“ an Wissenschaftler:innen, die sich für Reproduzierbarkeit einsetzen.
Wie bewerten Sie die Rolle des privaten Sektors im Kontext von Open Science, und welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in der Zusammenarbeit mit kommerziellen Akteuren?
AMH: Das ist eine spannende Frage – im wahrsten Sinne des Wortes! Wir hatten in der Vergangenheit zwei Retreats, die sich damit auseinandersetzten. Einmal allgemein zur Rolle des privaten Sektors im Open-Science-Bereich und einmal konkret mit dem recht provokanten Titel „The agility of commercial infrastructures versus the sluggishness of institutional infrastructures“. Was meiner Erfahrung nach in diesem Zusammenhang immer wieder aufkommt, sind folgende Themen: (1) die Nachhaltigkeit, das heißt die langfristige Finanzierung über eine projektbezogene Initiative hinaus, (2) die Herangehensweise, das heißt community approach vs. business model approach und (3) die Daten- und Technologiesouveränität.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus den bisherigen Retreats, insbesondere im Hinblick auf die Themen „Krisenbewältigung“ und „Reform der Forschungsbewertung“?
AMH: Ich denke, dass es am wichtigsten ist, nach dem Diskutieren ins Handeln zu kommen und daran mitzuwirken, dass sich Rahmenbedingungen ändern oder dass man konkret am Ausbau von Kompetenzen und Skills bzw. konkreten Lösungsansätzen mitwirkt. Etwa in Bezug auf die Reform der Forschungsbewertung gibt es ja konkrete Initiativen wie CoARA, das ist die Coalition for Advancing Research Assessment. Sehr positiv fand ich in diesem Zusammenhang, dass mit dem Agreement on Reforming Research Assessment, den Signatories und den CoARA Working Groups auf vielen Ebenen im Wissenschaftssystem, auch außerhalb von CoARA, Bewegung ausgelöst wurde. Wie es eine Teilnehmerin unseres vergangenen Retreats formuliert hat: „…for change to happen things need to happen at scale“.
Welche Strategien verfolgt das Open Science Retreat, um eine breite internationale Beteiligung und einen konstruktiven Austausch zwischen unterschiedlichen Akteuren zu fördern?
AMH: Wir haben ja nun schon mehrere Jahre Erfahrung mit diesem Veranstaltungsformat. Im Laufe der Jahre haben sich folgende Elemente als sehr wirkungsvoll erwiesen: Zum einen die Auswahlverfahren: Einer Teilnahme am Retreat geht ein Auswahlverfahren voraus, das heißt Leute bewerben sich mit einer kurzen Motivation, warum sie am Retreat zum jeweiligen Thema teilnehmen wollen und was sie in die Diskussion einbringen möchten. Zum zweiten die Diversität: Wir wählen die Teilnehmenden auf Basis der Bewerbungen aus und achten dabei darauf, Menschen aus verschiedenen Kontinenten, Ländern und Interessengruppen einzubeziehen. Zudem haben sich Impulsvorträge sehr bewährt: Die kurzen Impulsvorträge zu Beginn des ersten Retreat-Tages – meist drei Vorträge zu je 10-15 Minuten – haben sich als sehr wertvoller Einstieg in das jeweilige Thema erwiesen. Die Qualität der Diskussionen profitiert sehr davon. Und apropos Diskussion: Schließlich von großer Bedeutung ist die intensive Diskussion in wechselnden Kleingruppen anhand von vorgeschlagenen Leitfragen. Wenn dann, wie beim vergangenen Retreat, alle drei Vortragenden auch am zweiten Retreat-Tag an den „in-depth discussions“ teilnehmen, ist der Mehrwert am größten.
Wie hat sich das Retreat seit dem ersten Kick-Off im Oktober 2021 weiterentwickelt, und welche Pläne gibt es für die Zukunft?
AMH: Das Format hat sich über die Jahre konkretisiert und gefestigt, was den Ablauf und die einzelnen Elemente des Open Science Retreats betrifft. Ich denke, daran können wir festhalten. Und die Veranstaltung hat sich tatsächlich etabliert – es gibt immer deutlich mehr Bewerbungen als Personen, die wir dann tatsächlich aufnehmen können. Wir wollen das Format aber bewusst in kleinem Rahmen halten, um den Teilnehmenden auch die Möglichkeit zu geben, sich aktiv zu beteiligen. Was ich gemeinsam mit dem Organisationsteam überlegen möchte, ist, wie man künftige Themen kurzfristiger mit der Community identifizieren und auswählen kann. Vielen Dank für das Interview!
*Das Interview wurde am 23. September 2024 geführt von Dr. Doreen Siegfried.