Replikationen in der BWL – Potenziale für mehr wissenschaftliche Verlässlichkeit

Sören Köcher über seine Open-Science-Erfahrungen

Foto von Dr. Sören Köcher

Foto: Jana Dünnhaupt

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Replikationsstudien fördern die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse – eine zentrale Voraussetzung für kumulativen Fortschritt in der Marketing- und Konsumentenforschung.
  • Replikationen leisten mehr als die bloße Wiederholung bestehender Studien. Sie können einen eigenständigen theoretischen Beitrag liefern – insbesondere dann, wenn sie um Erweiterungen ergänzt werden, etwa durch alternative Erklärungsansätze, zusätzliche Moderatoren oder die Anwendung in neuen Kontexten.
  • Replikationsstudien stärken die Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis. Replikationen von Laborergebnissen im Feld können beispielsweise zeigen, ob Forschungsergebnisse auch unter realen Bedingungen Bestand haben – eine zentrale Voraussetzung für ihre praktische Relevanz.

Sie haben zusammen mit Susanne Adler und Marko Sarstedt beschlossen, das Special Issue: Replications in Marketing and Consumer Research im “Journal of Business Economics” herauszugeben. Was war der Anlass?

SK: Mit dem Special Issue möchten wir ein wichtiges Thema adressieren, das in den letzten Jahren in vielen wissenschaftlichen Disziplinen zunehmend an Bedeutung gewonnen hat: die Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen.In der Wissenschaft gilt Replizierbarkeit als ein zentrales Qualitätsmerkmal – sie ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit von und unser Vertrauen in bestehende Erkenntnisse. Die Beobachtung, dass sich viele wissenschaftliche Ergebnisse in Replikationsstudien nicht bestätigen lassen, unterstreicht die Relevanz entsprechender Untersuchungen – auch in unserem Fachgebiet.

Replikationsstudien spielen in unserem Fach bislang jedoch eine eher untergeordnete Rolle, obwohl sich neue Forschung in hohem Maße auf bestehende Erkenntnisse stützt. Umso wichtiger ist es, dass diese Erkenntnisse robust und verlässlich sind. Mit dem Special Issue möchten wir diesem Thema mehr Sichtbarkeit verleihen und eine Plattform schaffen, die zur Anerkennung von Replikationsstudien beiträgt und Forschende ermutigt, entsprechende Arbeiten durchzuführen und zu publizieren.

Gab es einen konkreten Auslöser oder Entwicklungen, die dabei eine Rolle gespielt haben?

SK: Replikationsstudien sind in der Marketing- und Konsumentenforschung bislang kaum etabliert – ganz im Gegensatz zu Disziplinen wie der Medizin oder der Psychologie, in denen Replikation ein integraler Bestandteil wissenschaftlicher Praxis ist. Mit dem Special Issue möchten wir einen Impuls setzen und ein Outlet schaffen, das zur Etablierung von Replikationsstudien in unserem Fach beiträgt.

Welche Art von Replikationen laden Sie konkret ein?

SK: Wir sind an verschiedenen Formen von Replikationen interessiert, die auf unterschiedliche Weise zur Überprüfung und Weiterentwicklung bestehender Erkenntnisse beitragen können: Zum einen an direkten Replikationen mit Erweiterungen. Dabei wird der ursprüngliche Studienaufbau möglichst exakt reproduziert, jedoch gezielt um zusätzliche Variablen oder Bedingungen ergänzt. Solche Studien ermöglichen es, Faktoren zu identifizieren, die die Stärke oder Richtung eines Effekts verändern können, oder alternative Erklärungsansätze zu prüfen und so die einem Effekt zugrunde liegenden Wirkmechanismen besser zu verstehen.

Darüber hinaus laden wir konzeptionelle Replikationen ein. Hier steht nicht die exakte Wiederholung des ursprünglichen Designs im Vordergrund, sondern die Untersuchung eines Effekts in einem veränderten Kontext – etwa durch den Einsatz anderer abhängiger Variablen oder die Durchführung in einem anderen Setting. Besonders interessant ist es, wenn sich Effekte, die bislang nur unter Laborbedingungen untersucht wurden, auch im Feld beobachten lassen. Solche Studien testen nicht nur die externe Validität, sondern unterstreichen auch die praktische Relevanz der Befunde.

In der Marketing- und Konsumentenforschung lassen sich Studien nicht unbegrenzt replizieren – allein deshalb, weil sich menschliches Verhalten über die Zeit verändert. Konsument:innen informieren sich heute zum Beispiel über Tools wie ChatGPT oder Gemini, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. Wie alt darf eine Studie sein, bevor kontextuelle Veränderungen ihre Replizierbarkeit infrage stellen?

SK: Entscheidend ist für uns weniger das Alter einer Studie als vielmehr ihre Relevanz. Wir interessieren uns insbesondere für Studien, die theoretisch einflussreich waren und sind und auf denen aktuelle Forschung aufbaut – unabhängig davon, wann sie publiziert wurden. Gerade in der Konsumentenforschung, die stark experimentell ausgerichtet ist, beobachten wir, dass viele ältere Studien mit kleinen Stichproben gearbeitet haben – teils deutlich unter dem, was heute als methodischer Mindeststandard gilt. Das ist insbesondere dann problematisch, wenn die berichteten Effektstärken ohnehin gering sind. In solchen Fällen besteht das Risiko, dass Effekte über- oder falsch eingeschätzt wurden. Replikationen bieten hier die Möglichkeit, die Robustheit der Befunde unter zeitgemäßen methodischen Standards zu überprüfen.

Angenommen, Sie erhalten für das Special Issue zahlreiche interessante und unterschiedlich angelegte Replikationsstudien: Welche Maßnahmen könnten darüber hinaus dazu beitragen, das Thema Replikation in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachcommunity langfristig stärker zu verankern?

SK: Ein zentraler Aspekt ist aus meiner Sicht die Bewusstseinsbildung: Es braucht ein klareres Verständnis darüber, welche Funktionen Replikationen erfüllen und welchen Mehrwert sie für die Wissenschaft bringen. Replikationen stärken einerseits das Vertrauen in wissenschaftliche Beobachtungen und Effekte, indem sie deren Robustheit überprüfen. Andererseits erweitern sie unser Verständnis für die Bedingungen, unter denen ein Effekt auftritt – oder eben nicht. Insbesondere Replikationen mit Erweiterungen können wertvolle Einsichten liefern, indem sie etwa aufzeigen, welche Faktoren einen Effekt moderieren oder welche theoretischen Grenzen bestehen. Ebenso können sie dazu beitragen, die zugrunde liegenden Wirkmechanismen differenzierter zu verstehen. Auch die Überprüfung von Effekten in unterschiedlichen Kontexten – etwa im Feld statt im Labor – kann wichtige Aussagen zur praktischen Relevanz ermöglichen. Ein weiterer Beitrag liegt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung selbst: Ich habe selbst eine Replikationsstudie veröffentlicht, mit der wir gezielt auf eine Debatte innerhalb der Literatur reagiert haben. Wir haben eine Untersuchung aus dem Journal of Consumer Research repliziert, die nach Veröffentlichung eine Reihe von Kommentaren hervorgerufen hatte. Mit unserer Replikation wollten wir einige der offenen Fragen empirisch klären, die dort nur theoretisch diskutiert wurden. Auch das ist ein Weg, wie Replikationen einen theoretischen Mehrwert leisten können.

Sie sind in einer Doppelrolle: einerseits Mitherausgeber des Special Issues, andererseits selbst in der Verhaltens- und Konsumentenforschung tätig. Sie kennen sich also mit Anreizmechanismen aus. Aus dieser doppelten Perspektive: Wie ließe sich der Anreiz für Forschende in der BWL erhöhen, sich stärker mit Replikationsstudien zu beschäftigen?

SK: Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Replikationsstudien bieten gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs eine sehr gute Möglichkeit, in die Publikationspraxis einzusteigen. Sie geben einen klaren methodischen Rahmen vor und erleichtern es, sich strukturiert mit einer konkreten Forschungsfrage auseinanderzusetzen. Das kann besonders hilfreich sein, um erste Publikationserfahrungen zu sammeln.

Was wäre aus Ihrer Sicht ein Erfolg für dieses Special Issue?

SK: Ein guter Erfolg wäre aus meiner Sicht, wenn wir eine ausgewogene und vielfältige Mischung verschiedener Formen von Replikation zusammenstellen können – wie ich sie zuvor beschrieben habe. Wenn Leser:innen beim Blick auf diese Kollektion erkennen, dass Replikationen mehr leisten als nur die Wiederholung bisheriger Studien, nämlich auch eigenständige theoretische Beiträge ermöglichen, dann wäre ein wesentliches Ziel erreicht. Idealerweise motiviert das Special Issue andere Forschende, selbst Replikationsstudien durchzuführen.

Das scheint ein zentraler Aspekt zu sein. In der wissenschaftlichen Praxis wird Replikationsforschung häufig als nachrangig wahrgenommen – unter anderem mit dem Argument, die eigentliche intellektuelle Leistung liege bei den Erstautor:innen der Originalstudie, während eine Replikation lediglich deren Aufbau wiederholt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Inwiefern lässt sich Replikationsforschung, insbesondere wenn sie um Erweiterungen ergänzt wird, dennoch als eigenständiger wissenschaftlicher Beitrag verstehen?

SK: Das ist tatsächlich ein zentraler Punkt. Replikationsforschung wird häufig unterschätzt. Dabei wird in der Regel übersehen, dass Replikationen – insbesondere mit Erweiterungen –einen eigenständigen Beitrag leisten können: Sie helfen uns, einen etablierten Effekt besser zu verstehen. Natürlich ist der theoretische Beitrag in vielen Fällen anders gelagert als bei einer Studie, die einen völlig neuen Effekt identifiziert. Das ist vermutlich auch ein Grund, warum Replikationsstudien in unserer Disziplin bislang seltener in Fachzeitschriften aufgenommen werden. Trotzdem ist es wichtig, etablierte Effekte, auf denen aktuelle und zukünftige Forschung aufbaut, möglichst gut zu verstehen. Auch kleinere Beiträge können hier wertvoll sein – etwa wenn sie zeigen, unter welchen Bedingungen ein Effekt nicht auftritt oder besonders stark ausgeprägt ist. Solche Erkenntnisse können wiederum hilfreich sein, wenn spätere Studien auf diesen Ergebnissen aufbauen.

Letztlich spielt das Testen von Effekten auch für die Praxis eine Rolle. Gerade weil die Marketing- und Konsumentenforschung eine hohe Relevanz für Unternehmen, Start-ups, NGOs und andere anwenderorientierte Akteure hat, ist es zentral, dass Forschungsergebnisse replizierbar und belastbar sind.

SK: Ganz genau. Unsere Disziplin ist stark anwendungsorientiert und liefert nicht nur wissenschaftlich relevante, sondern auch praxisnahe Erkenntnisse. Umso wichtiger ist es, dass unsere Empfehlungen für die unternehmerische Praxis auf robusten und überprüften Ergebnissen beruhen. Umgekehrt profitieren Unternehmen davon, wenn sie wissen, unter welchen Bedingungen ein bestimmter Effekt zuverlässig eintritt – oder eben nicht. Das stärkt sowohl die wissenschaftliche Aussagekraft als auch die praktische Nutzbarkeit unserer Forschung.

Welche Rolle spielen Replikationsprojekte in Ihrer Lehre, und inwiefern eignen sie sich aus Ihrer Sicht zur Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen an Studierende?

SK: Wir nutzen Replikationen gezielt in der Lehre, um Studierende an wissenschaftliches Arbeiten heranzuführen – etwa im Umgang mit Daten, bei der Anwendung empirischer Methoden oder im kritischen Umgang mit bestehenden Studien. In diesem Rahmen eignen sich Replikationsprojekte sehr gut, auch unabhängig von einer Veröffentlichung. Aktuell experimentiere ich mit meinen Studierenden außerdem mit einem etwas anderen Ansatz: Wir versuchen, bekannte Effekte mithilfe synthetischer Daten zu replizieren – also mit Datensätzen, die wir über ChatGPT generieren lassen. Ziel ist es herauszufinden, inwieweit sich mit solchen künstlich erzeugten Daten realitätsnahes Antwortverhalten simulieren lässt und ob sich etablierte Effekte damit replizieren lassen.

Wie sind Sie für das Thema Open Science sensibilisiert worden? Nach meinem Eindruck ist es bislang weder fest in der universitären Ausbildung noch systematisch in der Promotionsphase verankert. Wann und wie sind Sie erstmals damit in Berührung gekommen?

SK: Mein erster konkreter Kontakt mit Open Science liegt etwa fünf oder sechs Jahre zurück. Damals habe ich mit einem amerikanischen Co-Autor an einem gemeinsamen Projekt zusammengearbeitet. Im Verlauf unserer Zusammenarbeit schlug er vor, unsere Studien zu präregistrieren und die Daten im Open Science Framework hochzuladen, um den Reviewern Zugang zu ermöglichen.

In meiner eigenen Doktorandenausbildung spielte Open Science keine Rolle – das war damals noch kein etablierter Bestandteil der wissenschaftlichen Qualifikation. Ich habe aber den Eindruck, dass sich das zunehmend ändert. Ich bin überzeugt, dass Open Science künftig stärker in die strukturierte Promotionsausbildung integriert wird.

Wenn jemand neu in das Thema Open Science einsteigt – ein Bereich, der ja durchaus komplex und umfangreich ist – welche konkreten Empfehlungen würden Sie geben? Was wären aus Ihrer Erfahrung erste sinnvolle Schritte?

SK: Ich denke, ein zentrales Hemmnis liegt oft in einer gewissen Trägheit gegenüber der Umsetzung von Open-Science-Praktiken. Dabei lassen sich viele Maßnahmen mit wenig Aufwand realisieren. Ein guter und pragmatischer erster Schritt ist beispielsweise die Präregistrierung von Studien. Es lohnt sich, schon vor Beginn der Datenerhebung zu überlegen, wie man die Daten später auswerten möchte. Diese Überlegungen muss ich ohnehin im Verlauf der Analyse anstellen – warum also nicht von Anfang an strukturiert festhalten? Ein weiterer einfacher Schritt ist das Teilen von Materialien und Daten über Plattformen wie das Open Science Framework. Auch das ist technisch unkompliziert und schafft langfristig Transparenz und Nachvollziehbarkeit – nicht nur für andere, sondern auch für die eigene Arbeit. Wenn ich von Anfang an klar strukturiere, dokumentiere und meine Daten ordentlich archiviere, profitiere ich auch später davon – etwa wenn ich auf die Daten zurückgreifen oder eine Studie weiterentwickeln möchte.

Eine letzte Frage zum Abschluss: Wo sehen Sie das Thema Open Science in den kommenden Jahren innerhalb der Marketing- und Konsumentenforschung?

SK: Ich bin überzeugt, dass Open-Science-Praktiken in unserer Disziplin deutlich an Bedeutung gewinnen werden. Erste Entwicklungen sind bereits zu sehen: Einige der führenden Fachzeitschriften sind hier bereits vorangegangen und verlangen heute die Offenlegung von Datensätzen und Materialien, um die Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Replizierbarkeit der Forschung sicherzustellen. Ich rechne fest damit, dass sich diese Praxis weiter durchsetzen und künftig ein zentraler Bestandteil guter wissenschaftlicher Standards sein wird.

Vielen Dank!

*Das Gespräch wurde geführt am 4. Juni 2025 von Dr. Doreen Siegfried.

Über Dr. Sören Köcher:

Dr. Sören Köcher ist derzeit Vertretungsprofessor für Marketing an der Technischen Universität Dortmund. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Konsumentenverhalten in digitalen Kontexten, Entscheidungsanomalien, nachhaltigem Konsum und Replikationsstudien. Internationale Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an die York University, die Texas State University und die Florida Atlantic University. Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der American Marketing Association, Academy of Marketing Science und der Verbraucherzentrale NRW.

Kontakt: https://marketing.wiwi.tu-dortmund.de/professur/team/soeren-koecher/

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/soeren-koecher-26777249/

ResearchGate: https://www.researchgate.net/profile/Soeren-Koecher

OSF: https://osf.io/rdmgw/

Zum Special Issue: Replications in Marketing and Consumer Research im “Journal of Business Economics”




Zurück zum Open-Science-Magazin