FORRT: Eine Initiative für offene Wissenschaft
Ein Interview mit Flavio Azevedo
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Was ist FORRT? Und wie unterscheidet es sich von anderen Initiativen zur Förderung von Transparenz und Reproduzierbarkeit in der Wissenschaft?
FA: FORRT steht für Framework for Open and Reproducible Research Training. Die Initiative verfolgt das Ziel, Forschungstransparenz, Reproduzierbarkeit und ethische Standards durch pädagogische Reformen, offene Bildungsressourcen und Metawissenschaften zu fördern. Im Gegensatz zu anderen Initiativen liegt der Fokus von FORRT auf Bildung und Pädagogik – ergänzt durch Metawissenschaft sowie das Engagement für soziale Gerechtigkeit im Kontext der offenen Wissenschaft. FORRT bietet einen umfassenden Rahmen für Ausbildung und Unterstützung zur Verbesserung wissenschaftlicher Praxis. Heute ist FORRT eine globale Gemeinschaft von fast 1.300 Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen und Karrierestufen, die im Bereich der Metawissenschaften aktiv sind. Gemeinsam entwickeln sie offene und integrative Lernmaterialien, um die Grundsätze der offenen Wissenschaft in Forschung, Lehre und Mentoring zu verankern.
Wie unterstützt FORRT konkret die Integration von Open-Science-Praktiken in die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Lehre?
FA: FORRT unterstützt verschiedene sozialwissenschaftliche Disziplinen, darunter Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre, durch eine E-Learning-Plattform. Diese ermöglicht Lehrkräften das Auffinden, Zugreifen, gemeinsame Nutzen und Wiederverwenden (FAIR-Prinzipien) offener Bildungsressourcen (z. B. Educational Nexus, kuratierte Ressourcen), Lehrmaterialien (z. B. Unterrichtspläne, Lehrpläne, Zusammenfassungen), Schulungsmöglichkeiten mit Schwerpunkt auf Transparenz und Reproduzierbarkeit (z. B. Post-Edu) und Metawissenschaftsforschung (z. B. Replication Hub). FORRT legt besonderen Wert auf die Entwicklung pädagogischer Inhalte, die flexibel anpassbar und interdisziplinär einsetzbar sind (z. B. Pädagogik). Es bietet einen strukturierten Ansatz zur Integration offener wissenschaftlicher Praktiken in Lehrpläne (z. B. Cluster), wodurch die Qualität der Lehre von Forschungsmethoden verbessert und eine Kultur der Offenheit gefördert wird.
Was sind die konkreten Vorteile einer Zusammenarbeit mit FORRT für Wirtschaftswissenschaftler:innen, die an der Qualität und Transparenz ihrer Forschung arbeiten wollen?
FA: Durch die Nutzung der FORRT-Lernmaterialien und anderer Ressourcen können Wirtschaftswissenschaftler:innen die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Arbeit stärken, die Sichtbarkeit und Wirkung ihrer Forschung erhöhen und eine Kultur der Offenheit und Verantwortlichkeit fördern. Indem sie der nächsten Generation von Akademiker:innen und Wissenschaftskonsument:innen die Grundsätze der offenen Wissenschaft vermitteln, tragen sie zur Verbreitung transparenter wissenschaftlicher Praktiken bei.
Zudem haben sie die Möglichkeit, Teil einer interdisziplinären und internationalen Gemeinschaft zu werden, die sich mit offener Wissenschaft beschäftigt. Sie können sich an partizipativer Forschung sowie an Big-Team-Wissenschaftsinitiativen beteiligen und auf den offenen Praktiken der Gemeinschaft aufbauen, um neue Kollaborationen einzugehen und die Reichweite wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erweitern.
Wie können nun Wirtschaftswissenschaftler von den offenen Bildungsressourcen und der pädagogischen Infrastruktur von FORRT profitieren? Und wie können sie die von FORRT entwickelten Lehr- und Mentoring-Materialien nutzen, um die Qualität ihrer eigenen Lehre zu verbessern?
FA: Forscher:innen können die FORRT-Ressourcen nutzen, um Open-Science-Praktiken besser zu verstehen und anzuwenden, ihre Lehre mit aktuellen Materialien zu Transparenz und Reproduzierbarkeit zu bereichern und eine kollaborative Lernumgebung zu fördern. Wirtschaftsforscher:innen können die Materialien in ihre Lehrveranstaltungen integrieren, um Studierende mit offener Wissenschaft vertraut zu machen, kritisches Denken zu fördern und reproduzierbare Forschung zu unterstützen. Die FORRT-Gemeinschaft hat hierfür ein Glossar der offenen Wissenschaft erstellt, Lehrmaterialien gesammelt und pädagogische Vorlagen entwickelt, um den Einstieg zu erleichtern. Zudem wurden über 3.000 Replikationen dokumentiert, mehr als 200 Open-Science-Publikationen zusammengefasst, über 100 Lehrpläne katalogisiert und 1.200 Ressourcen kuratiert. Eine systematische Überprüfung ergab, dass die Integration offener Wissenschaft in die Lehre sowohl Herausforderungen als auch deutliche Vorteile für das wissenschaftliche Verständnis der Studierenden mit sich bringt. Die FORRT-Materialien sind flexibel einsetzbar und für verschiedene sozialwissenschaftliche Disziplinen, einschließlich der Wirtschaftswissenschaften, anpassbar.
Eines der größten FORRT-Projekte ist der Replication Hub, an dem über 170 Personen mitarbeiten. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
FA: Der FORRT Replication Hub ist eine umfassende Sammlung von Ressourcen zur Unterstützung und Förderung der Replikationsforschung in allen Disziplinen. Ziel ist es, Replikationsstudien zugänglicher, standardisierter und lohnender zu gestalten. Der Hub bietet Tools, Projekte und Software, die die Identifikation, Durchführung, Analyse, Lehre, Berichterstattung und Verbreitung von Replikationsstudien erleichtern. Durch die Priorisierung von Verifizierung und Reproduzierbarkeit trägt der Replication Hub zur Verbesserung wissenschaftlicher Praxis in den Sozialwissenschaften, einschließlich der Wirtschaftsforschung, bei.
Das Herzstück ist die FORRT Replikationsdatenbank (FReD), das weltweit größte Repository für Replikationsergebnisse. FReD umfasst ein R-Paket zur effizienten Datenverarbeitung und -visualisierung sowie eine aktive Gemeinschaft von über 170 Forschenden, die sich der Förderung von Replikationsstudien widmen. Während der Großteil der bisherigen Einträge aus der Psychologie stammt, werden schrittweise Replikationen aus weiteren Sozial- und Verhaltenswissenschaften aufgenommen – darunter Wirtschaft und Management. Dies geschieht derzeit im Rahmen einer groß angelegten Partnerschaft mit dem Center for Open Science (COS).
Die Mitarbeit an FReD steht allen offen. Die Mitwirkenden werden öffentlich anerkannt und können an der für 2026 geplanten Datenveröffentlichung teilnehmen. Forscher:innen können Replikationsstudien in einem sehr kurzen Format einreichen, um die Sichtbarkeit dieser Arbeit zu erhöhen und den derzeitigen Mangel an systematischen Methoden zur Ermittlung von Replikationsstudien zu beheben. Umfassende Einträge sind ebenfalls willkommen, die automatisierte Meta-Analysen und Zusammenfassungen ermöglichen. Forscher:innen können auch unsere standardisierte Berichtsvorlage verwenden, um Replikationen als Preprints zu veröffentlichen (https://osf.io/3jgxd). Diese Vorlage wird in Zukunft maschinenlesbar sein und entspricht unserem gemeinsamen Leitfaden für die Durchführung von interdisziplinären Replikationsstudien, der Forschenden hilft, ihre Arbeit zu dokumentieren und gemeinsam zu nutzen.
Welche Empfehlungen würden Sie Wirtschaftswissenschaftler:innen geben, die ihre Forschungspraxis im Sinne von FORRT reformieren wollen?
FA: Sie sollten damit beginnen, sich mit den Grundsätzen und Praktiken der offenen Wissenschaft vertraut zu machen, die Ressourcen und Schulungsmöglichkeiten von FORRT (https://forrt.org/nexus) zu nutzen und sich in der Gemeinschaft zu engagieren, um Erfahrungen auszutauschen und von anderen zu lernen. Die schrittweise Einführung offener Praktiken wie Präregistrierung, gemeinsame Datennutzung und offene Peer-Reviews können helfen, Glaubwürdigkeit aufzubauen und eine Kultur der Transparenz zu fördern.
Wie kann die FORRT-Gemeinschaft dazu beitragen, eine Kultur der Transparenz und Reproduzierbarkeit in den Wirtschaftswissenschaften zu fördern?
FA: Die FORRT-Gemeinschaft fördert Transparenz und Reproduzierbarkeit, indem sie ein unterstützendes Netzwerk für den Austausch von Ressourcen, Erfahrungen und bewährten Verfahren bietet, sich in akademischen und professionellen Foren für offene Wissenschaft engagiert und Initiativen zur Stärkung von Offenheit und Verantwortlichkeit in der Forschung unterstützt. Viele FORRT-Lehrmaterialien sind fachübergreifend anwendbar, und Beiträge von Forschenden aus allen Disziplinen, einschließlich der Wirtschaftswissenschaften, sind ausdrücklich willkommen.
Wie trägt FORRT zur Diskussion über die ethischen und sozialen Auswirkungen einer forschungspädagogischen Praxis bei, die auf Offenheit und Glaubwürdigkeit ausgerichtet ist?
FA: FORRT betont Transparenz, Inklusivität und soziale Gerechtigkeit in Forschung und Bildung. Durch seine pädagogische Infrastruktur und metawissenschaftlichen Initiativen stellt FORRT Pädagog:innen und Forscher:innen strukturierte Ressourcen zur Verfügung, die ethische Überlegungen – wie den gleichberechtigten Zugang zu Wissen, verantwortungsvolle Datenverwaltung und Inklusivität bei der Teilnahme an der Forschung – in die Ausbildung und die Lehrpläne einbetten.
Einer der wichtigsten Beiträge von FORRT ist seine systematische Überprüfung der Pädagogik der offenen Wissenschaft, die Erkenntnisse über die Vorteile und Herausforderungen der Integration von Prinzipien der offenen Wissenschaft in die Bildung zusammenfasst. Diese Arbeit hebt das transformative Potenzial von Offenheit hervor, indem sie die Forschungsausbildung transparenter, reproduzierbarer und gerechter macht, und erkennt gleichzeitig die Risiken der Ausgrenzung an, wenn diese Praktiken nicht mit Bedacht umgesetzt werden.
FORRT setzt sich auch für ethische Praktiken bei der Autorenschaft und der Vergabe von Credits ein, indem es die CRediT-Taxonomie verwendet, um sicherzustellen, dass Beiträge fair anerkannt werden – insbesondere von Nachwuchsforschenden. Darüber hinaus fördert FORRT durch sein Replication Hub und seine Lehrmaterialien eine Kultur der intellektuellen Bescheidenheit und des kritischen Engagements und hilft Studierenden und Forschenden, die umfassendere soziale Verantwortung wissenschaftlicher Forschung zu erkennen.
Über die Pädagogik hinaus zeigt sich das Engagement von FORRT für Vielfalt, Gerechtigkeit, Inklusion und Zugänglichkeit (DEIA) in der Rekrutierung und Ausbildung von Nachwuchswissenschaftler:innen für seine Projekte und Initiativen, in der Zusammenarbeit mit Forschenden aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) und in der Zusammenarbeit mit marginalisierten Gemeinschaften, wie z. B. neurodivergenten Wissenschaftler:innen und Forschenden aus unterrepräsentierten sprachlichen und kulturellen Hintergründen. Durch die Hervorhebung dieser Perspektiven stellt FORRT sicher, dass es bei der offenen Wissenschaft nicht nur um die Erhöhung der Transparenz geht, sondern auch um die Förderung ethischer und sozial verantwortlicher Forschungsumgebungen, die unterschiedliche Lebenserfahrungen widerspiegeln.
Schließlich ist FORRT im Rahmen seines Engagements für ethische Forschungspraktiken aktiv an der Entwicklung von R2 beteiligt, einer Zeitschrift, die sich der reproduzierbaren Forschung widmet. Die Verfassung, der Verhaltenskodex und die Führungsstrukturen der Zeitschrift werden so gestaltet, dass alle veröffentlichten Forschungsarbeiten den höchsten Standards wissenschaftlicher Integrität sowie ethischer und sozialer Verantwortung entsprechen. Um Transparenz und gesellschaftliches Engagement zu fördern, wird R2 außerdem eine Reihe offener Treffen veranstalten, die sich mit den wichtigsten Aspekten der Struktur und der Richtlinien der Zeitschrift befassen, wie beispielsweise redaktionelle Steuerung, offene Begutachtung durch Fachkolleg:innen, Artikelbewertung und langfristige Finanzierungsmodelle. Diese Treffen, die zwischen Februar und Mai 2025 stattfinden, dienen nicht nur als Bildungsinitiative, sondern auch als Möglichkeit, den Prozess der Zeitschriftenerstellung zu demokratisieren und sicherzustellen, dass interessierte Forscher:innen, Interessenvertreter:innen und Gemeindemitglieder Beiträge zur Gestaltung der redaktionellen Richtlinien von R2 leisten können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass FORRT eine Brücke zwischen ethischer Wissenschaft und offener Pädagogik schlägt, indem es praktische Hilfsmittel bereitstellt, sich in der Metawissenschaft engagiert und sich für Richtlinien einsetzt, die Transparenz mit Fairness, Inklusivität und Verantwortung in Forschung und Bildung in Einklang bringen.
Vielen Dank!
*Dieses Interview wurde am 17. Februar 2025 geführt.
Über Dr. Flavio Azevedo:
Flavio Azevedo ist Assistenzprofessor für interdisziplinäre Sozialwissenschaften an der Universität Utrecht. Seine Forschungsschwerpunkte sind zum einen die politische Psychologie ideologischer Einstellungen und ihre psychologischen Grundlagen sowie zum anderen die Integration von Open Science in die Hochschulbildung.
Flavio Azevedo war wissenschaftlicher Mitarbeiter am University of Cambridge Social Decision-Making Lab und Fulbright-Stipendiat an der New York University, New York, USA. Er hatte weitere Postdoc-Stellen am Sächsischen Zentrum für Kriminologische Sozialforschung (ZFKS) und am Institut für Kommunikationswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne. Flavio Azevedo ist Mitbegründer und Leiter von FORRT – A Framework for Open and Reproducible Research.
Kontakt: http://flavioazevedo.com/
*Die folgenden Personen leisteten zusätzlich zu Flavio Azevedo einen Beitrag zu diesem Interview: Lukas Wallrich, Luke Roseler, Leticia Micheli, Kelly Lloyd, Helena Hartmann, and John Shaw.