Open Science braucht Infrastrukturen
Dr. Marc Scheufen über seine Open-Science-Erkenntnisse
Die drei wesentlichen Learnings:
- Open-Access-Journals in der Ökonomie brauchen renommierte Wirtschaftsforscher:innen, die sich engagieren.
- Open Science kostet Geld.
- In der Wirtschaftswissenschaft ist eine beschleunigte Entwicklung hin zu Open Access zu beobachten.
Sie haben selbst zu Open Access in der Wirtschaftswissenschaft geforscht. Wie schätzen Sie aktuell die Transformation des Open-Access-Publikationsmarktes ein?
MS: Wir arbeiten gerade an einem Sonderheft für die Zeitschrift „Managerial and Decision Economics“ und veröffentlichen selbst einen Beitrag dafür. Ein wesentlicher Vorteil von Open Access ist natürlich, dass durch die potenziell größere Leserschaft die Wahrscheinlichkeit für mehr Zitationen steigt. Man bekommt also mehr Wertschätzung. Wir haben in diesem Sonderheft zwei idealtypische Disziplinen miteinander verglichen, Biologie und Economics. Sie kennen ja vielleicht das Buch von Thomas Eger und mir: „The Economics of Open Access: On the Future of Academic Publishing“. Da haben wir unterschiedliche Publikationskulturen erkannt. Die Biologie ist ein Beispiel für die goldene Kultur. Economics steht für die Green-Kultur. Aufgefallen ist, dass in der Biologie überproportional viel im Gold Open Access veröffentlicht wird und weniger in Green. In Economics haben wir eher das umgekehrte Phänomen, dass vermehrt in Green veröffentlicht wird, aber kaum in Gold Open.
Wie erklären Sie das?
MS: Das erkläre ich dadurch, dass es in der Wirtschaftsforschung kaum Vorteile gibt, im Gold Open zu veröffentlichen. Das finden wir auch gerade in einem aktuellen Forschungspapier heraus, in dem wir untersucht haben, ob es den Effekt auf Zitationen tatsächlich gibt. In Bezug auf Gold Open Access stellen wir fest: Ja, in der Biologie gibt es deutliche Vorteile, weil es dort auch besonders gute Open-Access-Journals gibt. Ich denke da insbesondere an die PLOS-Journals. In den Wirtschaftswissenschaften gibt es diese herausragenden Open-Access-Journals eben nicht. Das ist der gravierende Unterschied. Unter den Top-10-Journals ist kein einziges pures Open Access Journal dabei, erst unter den Top 50 ist ein einziges vertreten. Hier fehlen also komplett die entsprechenden Open-Access-Infrastrukturen.
Wie hoch ist Ihrer Meinung nach das Bewusstsein für Open Access in der wirtschaftswissenschaftlichen Community?
MS: Ein Problem der Wissenschaftsgemeinde ist meiner Meinung nach, dass sie die Paywall aus ihrer Institution heraus nicht spüren. Die meisten Forschenden sind in irgendeiner Form affiliiert mit einer Institution, die Zugang zu Artikeln hat. Die meisten haben über ihre jeweilige Bibliothek den Zugang zu den Lizenzen. Deswegen glaube ich, dass wir da kaum die Vorteile spüren, weil wir im Prinzip immer Zugriff darauf haben. Wir denken, wir haben freien Zugang. Aber dass unsere Institution dafür sehr viel Geld zahlt, das wissen eben die wenigsten.
Inwieweit besteht denn Wissen in der wirtschaftswissenschaftlichen Community über Kostenstrukturen, Verlagsmodelle und den wissenschaftlichen Publikationsmarkt?
MS: Insbesondere bei Vorträgen oder in Gesprächen mit Kolleg:innen stelle ich immer wieder fest, dass kaum Wissen über den Publikationsmarkt vorliegt. Von der Serials Crisis, der sog. Zeitschriftenkrise, die die Bibliotheken finanziell in die Knie gezwungen hat, haben die wenigsten gehört, weil sie natürlich davon auch gar nicht berührt werden. Der Zugriff auf Zeitschriften, die benötigt werden, ist meist, trotz steigender Kosten und gleichbleibender Budgets, immer noch vorhanden, so dass man es gar nicht mitbekommt.
Wie wichtig ist es, Informationen über den Publikationsmarkt an Wirtschaftsforschende weiterzugeben?
MS: Definitiv sehr wichtig. Auch ich weiß nicht, was meine Institution dafür zahlt. Da würde ich mir auch mehr Transparenz wünschen. Ich arbeite gerade für das Sonderheft. Hier möchte ich in der Einleitung auch gern einen kleinen deskriptiven Einblick über die Entwicklung des Publikationsmarktes geben und dafür wäre es wunderbar, wenn ich eine Datenbank hätte, die mir transparent macht, was zahlt welche Institution für welche Art von Journals, um darauf Zugriff zu haben. Das gibt es leider nicht.
Sie sagten, es fehle in der Wirtschaftswissenschaft eine Open-Access-Infrastruktur. Wer wäre idealerweise die dahinterstehende Institution? Wäre eine solche Infrastruktur eher community owned oder eher bei den Verlagen angesiedelt? Was wäre Ihre Idealvorstellung?
MS: Das Wesentliche ist, dass da gute Wissenschaftler:innen, Ikonen, dahinterstecken. Dadurch steigt die Bereitschaft, auch im Gold Open Access zu veröffentlichen. Die Frage für die Wirtschaftswissenschaft ist, wer schreitet voran und bringt diesen Stein ins Rollen.
Das heißt, bestenfalls benötigt man eine Handvoll Nobelpreisträger:innen, die sich namentlich dahinter stellen?
MS: Sie sollten nicht nur namentlich dahinterstehen, sondern auch dafür sorgen, diesen Prozess ins Rollen zu bringen. Es ist relativ schwierig, bei der Marktmacht der Etablierten eine Kehrtwende hinzubekommen. Wir sehen aber in einer aktuellen Studie, dass sich zumindest die Geschwindigkeit der Entwicklung hin zu mehr Nutzung von Open Access im Bereich Economics ein bisschen höher ist als in der Biologie, so dass in Zukunft, der Abstand vielleicht etwas verkürzt wird.
Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung von Open Science ein?
MS: Ich bin bei diesem Transformationsprozess jetzt seit 11 Jahren dabei und habe meine Doktorarbeit zu diesem Thema geschrieben. Es ist wahrnehmbar, dass vermehrt ein Umdenken stattfindet und das finde ich sehr positiv. Insbesondere mit dem DEAL-Projekt findet vermehrt Veränderung statt. Mit Wiley oder Springer beispielsweise. Wenn man aber international arbeitet, wird es schon wieder schwierig. Ich kann ja mal von meinen Erfahrungen berichten. Unser aktuelles Sonderheft für „Managerial and Decision Economics“ gehört ja zum Verlag Wiley. Und Wiley gehört zum DEAL-Vertrag. Wir haben hier nicht nur deutsche oder europäische Autor:innen, sondern auch Wissenschaftler:innen aus Ländern außerhalb des DEAL-Vertrags. Wir wollen dieses Sonderheft natürlich Open Access stellen, aber hier sieht der Verlag Schwierigkeiten, da es beispielsweise mit Wissenschaftler:innen aus Neuseeland oder den USA keinen Vertrag gibt. Da wäre es hilfreich, eine Beratungsstelle zu haben, um in diesem Fall der Argumentation von Wiley entgegentreten zu können, so dass in diesem Fall dann die Publikation im Open Access veröffentlicht werden kann.
Wer wäre idealerweise dafür geeignet, diese Unterstützung zu leisten?
MS: Gute Frage. Ich habe mal am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München gearbeitet und da gab es Personen, die Wissen dazu hätten. Ansonsten die ZBW? Sie haben ja die Kompetenz in dem Kontext. Hier eine Anlaufstelle zu haben, wäre in jedem Fall schon toll.
Haben Sie Tipps für Wirtschaftswissenschaftler:innen, welche ersten Schritte sie Richtung Open Access, Open Science machen können?
MS: Sich informieren, zum Beispiel auf den Seiten der ZBW. Persönlich finde ich in der Praxis ResearchGate einen richtig guten Startpunkt. Ich habe hier auch die App auf meinem Smartphone. Damit habe ich nur gute Erfahrungen gemacht und nutze das auch täglich. Dabei interessiert mich weniger, wer meine Artikel gelesen hat, sondern vielmehr, was meine Peers Neues veröffentlichen. Das ist ein gutes Sprungbrett, da würde ich mir aber wünschen, dass es dort auch mehr Verlinkungen gibt, also Verknüpfungen zwischen verschiedenen Plattformen und Repositorien. Ein Sammelpunkt als Mainstream-Tool wäre wünschenswert, weil es so viele Plattformen gibt, die man nutzen könnte. Es fehlt aber auch einfach die Zeit, alle zu bedienen.
Was wären ideale Anreize, um mehr Ökonom:innen von Open Science zu überzeugen?
MS: Wenn Stellenbesetzungsverfahren offener für Open Science gestaltet wären. Da scheint mir, aktuell, Open Science überhaupt noch keine Rolle zu spielen. Wenn mich beispielsweise Leute bewerten, ist es denen vollkommen egal, ob ich den offenen Zugang zu meinen Forschungsergebnissen ermögliche oder nicht. Wenn Leute wissen, dass mehr Open-Science-Praxis ihnen tatsächlich in Berufungsverfahren und Stellenbesetzungen etwas bringt, in Form von Punkten für Bewertungen, dann würden das auch mehr Leute tun. Ein Pfadbruch muss her. Wir erleben hier immer noch den klassischen Lock-In-Effekt. Ein einzelner Wissenschaftler hat hier nicht viel Spielraum. Die Geldgeber müssen Open Science einfordern.
Sie sind aber trotzdem weiterhin optimistisch, dass es in kleinen Schritten vorangeht?
MS: Das wünsche ich mir auf jeden Fall.
Vielen Dank!
Das Interview wurde geführt von Dr. Doreen Siegfried.
Das Interview wurde geführt am 14.04.2021.
Über Dr. Marc Scheufen
Marc Scheufen ist Economist für Big Data Analytics am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sowie Akademischer Rat an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Er promovierte zum Thema „Copyright versus Open Access: On the organisation and international political economy of access to scientific knowledge”. Thematisch beschäftigt sich Marc Scheufen mit rechtsökonomischen Fragen in der Datenökonomie, mit Bezügen zu aktuellen Fragestellungen im Bereich Künstlicher Intelligenz. Ergebnisse seiner theoretischen und empirischen Arbeiten setzt er regelmäßig in konkrete Handlungsempfehlungen für die unternehmerische und politische Praxis um. Marc Scheufen ist überdies Dozent für Quantitative Datenanalyse an der FOM in Düsseldorf und Köln.
Kontakt: scheufen@iwkoeln.de; marc.scheufen@rub.de
ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0003-3228-918X
Twitter: https://twitter.com/marcscheufen