Open Science bedeutet für mich Kommunikation

Peter Haan über seine Open-Science-Erfahrungen

Foto von Professor Dr. Peter Haan

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Die Methoden und Werkzeuge der Wissenschaftskommunikation müssen genauso erlernt werden wie die Methoden der empirischen Forschung.
  • In der Wissenschaftskommunikation ist es wichtig, nicht nur seine Ergebnisse zu präsentieren, sondern auch den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert der eigenen Arbeit.
  • Öffentlichkeitsarbeit und Transfer werden ein immer wichtigerer Teil der Arbeit von Wissenschaftler:innen. Daher ist es sinnvoll, sich mit den grundlegenden Methoden vertraut zu machen.

Was bedeutet für Sie und Ihren Alltag Open Science?

PH: Open Science bedeutet für meine Arbeit vor allem Kommunikation. Dabei geht es um die Frage, wie wir unsere wissenschaftlichen Ergebnisse, unsere Methoden und unsere Fragestellungen in die Öffentlichkeit bringen können, um so einen Diskurs anzureichern.

Gab es einen bestimmten Moment, ab dem Sie sich für Open Science im Sinne von Wissenschaftskommunikation interessiert haben?

PH: Wissenschaftskommunikation hat mich grundsätzlich schon immer interessiert. Was mich bislang stört, ist, dass ökonomische Fragen medial häufig von Generalist:innen beantwortet werden, und die Ökonom:innen, die direkt an den Forschungsproblemen arbeiten, eher weniger stark in der Öffentlichkeit stehen. Während der Coronakrise habe ich beobachtet, wie andere Disziplinen gekonnt kommunizieren und es geschafft haben, Fachbegriffe und Artikel aus Fachjournalen der Öffentlichkeit nahezubringen. Das hat mich dazu gebracht, zu überlegen, wie wir in der Wirtschaftswissenschaft die Wissenschaftskommunikation besser machen könnten, um auch sehr komplexe Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu bringen.

Sie leiten zusammen mit Prof. Dr. Dorothea Kübler das Projekt INSIGHTS. Was ist Ihre Vision vom Projekt INSIGHTS?

PH: Unsere Vision ist es, dass mehr Expert:innen die Ergebnisse aus ihren Bereichen in die Öffentlichkeit bringen. Das ist meiner Meinung nach deutlich schwieriger als es klingt und das aus drei Gründen. Zum einen ist es wirklich mühsam, komplexe Phänomene in einfacher Sprache darzustellen. Zum zweiten kann es ein Problem sein, den Zugang zu den Medienplattformen zu finden und auf ihnen stattzufinden. Von Seiten der Medien ist es natürlich viel einfacher, mit prominenten Forschenden zu sprechen, die klar kommunizieren können und schnell erreichbar sind. Ein dritter Grund ist, dass die Politik lieber mit den Wissenschaftler:innen spricht, die bekannt sind, weil diese mehr Impact haben. Wir möchten, dass die Nachwuchswissenschaftler:innen lernen, einfach und klar zu kommunizieren. In der Wissenschaftskommunikation gibt es ebenso wie in anderen Bereichen auch Methoden und Techniken, die wir erlernen müssen. Dazu gehört es, zu lernen, Netzwerke zu bilden und auf Journalistinnen und Journalisten zuzugehen.

Gibt es auch Reflexionsprozesse, wer die Öffentlichkeit ist oder wird die sogenannte Öffentlichkeit segmentiert in Untergruppen?

PH: Wir versuchen, verschiedene Zielgruppen über verschiedene Medien zu erreichen. Momentan versuchen wir dies über die sozialen Medien und die klassischen Medien, also Zeitungen, Fernsehen und Radio.

Ist INSIGHTS nur für Berliner Doktorand:innen oder können auch Interessierte aus anderen Städten mitmachen?

PH: Perspektivisch ist das auf jeden Fall der Plan. Wenn die Förderung für INSIGHTS durch die Leibniz-Gemeinschaft ausläuft, würden wir gerne die meisten Elemente von INSIGHTS öffnen und für Interessierte aus anderen Regionen zugänglich zu machen. Die Workshops, die wir organisieren, sind jetzt schon offen für alle.

Laut INSIGHTS-Website geht es auch darum, Politikvertreter:innen zu informieren. Was will der/die typische Politikvertreter:in von der Wirtschaftsforschung wissen?

PH: Das Feld ist sehr heterogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Nachwuchswissenschaftler:in direkt mit der Ministerin oder dem Minister zu tun hat, ist sehr gering. Die Hauptkommunikation, die wir auch in Round Tables organisieren, passiert auf Referatsebene. Dort sind die Personen, die die Entscheidungen vorbereiten und auch die wissenschaftlichen Artikel für die Spitze des Hauses aufbereiten müssen. Das sind in der Regel Personen, die wirklich sehr gut in die Thematik eingearbeitet sind, sodass die Kommunikation auf der Ebene gut funktioniert.

Was sind die größten Hürden für Wissenschaftler:innen, die in der Wissenschaftskommunikation überwunden werden müssen?

PH: Die größte Hürde ist die Vermittlung komplexer Sachverhalte in verständlicher Sprache jenseits der vertrauten wissenschaftlichen Fachterminologie. Hinzu kommt, dass man den Mehrwert seiner Arbeit und den Beitrag zum großen Ganzen klarmachen muss. Für mich ist jedoch Folgendes fast am wichtigsten: Es ist wesentlich, dass wir lernen, zu kommunizieren, was wir nicht wissen. Die Wissenschaftler:innen kennen ihr Feld und wissen genau, wo noch Unsicherheiten sind. Deshalb sehe ich auch eine große Gefahr darin, nur die Medienstars der Ökononomie als Generalist:innen zu befragen, weil die eben nicht tief genug in allen Themen der VWL drinstecken. Es wird aber von den Medien und Politiker:innen oft verlangt, Aussagen zu etwas zu treffen, zu dem noch relativ wenig bekannt ist. Es fällt medienaffinen Ökonom:innen oft schwer, sich hinzustellen und zu sagen, dass sie es nicht genau wissen. Es ist jedoch eine Aufgabe von Forschenden in allen Bereichen, Unsicherheiten klar zu markieren. Wer wenn nicht wir kann sagen, dass es noch Unsicherheiten gibt?

Welche Rolle spielen Replikationen in der Argumentation von Sicherheit?

PH: Replikation bedeutet für mich, dass man klar zeigen kann, dass man sauber empirisch gearbeitet hat. Dass alles dokumentiert ist, halte ich für eine ganz wichtige Voraussetzung, unabhängig davon, wie und mit wem wir kommunizieren. Es ist auch für die innerwissenschaftliche Kommunikation essenziell.

Warum nehmen sich Ihre Doktorand:innen die Zeit, Texte in verständlicher Sprache zu texten, Kameratraining zu machen etc.? Was ist ihre Motivation?

PH: Die Doktorand:innen sind vor allem deswegen motiviert, weil sie für ihre Themen brennen und sie wollen, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Es gibt natürlich auch eine sehr große Frustration, die man als Wissenschaftler:in erlebt, wenn man jahrelang an einem Projekt arbeitet und es eigentlich kaum jemanden interessiert. Die Doktorand:innen wollen also mehr Sichtbarkeit mit ihrem Forschungsthema. Um später eine Professur zu bekommen, zählt in erster Linie nicht die Medienpräsenz, sondern die wissenschaftlichen Publikationen. Das ist auch aus meiner Sicht richtig, weil wir Wissenschaftler:innen sind und nicht Medienkommunikator:innen. Aber es ist ganz klar, dass Öffentlichkeitsarbeit und Transfer immer wichtiger werdender Teil der Arbeit sind. Das wissen die Leute, und das wollen die Leute. 

Welche Rolle spielt die Selbstreflexion über die eigene Verantwortung, Wissenschaftskommunikation für die Politik richtig gut zu machen?

PH: Selbstreflexion ist uns sehr wichtig! Deswegen haben wir die Thematik auch in unserem INSIGHTS-Projekt eingebaut. Konkret bedeutet das, dass man Erfahrungen nach der Kommunikation mit Expert:innen oder Journalist:innen noch einmal durchspricht: Was hat diese Kommunikation gebracht und was nicht? Wenn es beispielsweise einen Zeitungsartikel über meine Forschung gegeben hat, sollte ich prüfen, ob meine Kernbotschaften überhaupt angekommen sind. Sind die Zitate, die genutzt wurden, hilfreich gewesen oder hätte ich sie vielleicht noch mal ändern sollen? Nachwuchswissenschaftler: innen sollen lernen, mit den Medien umzugehen und sich selbst nicht unter Wert zu verkaufen.

Teilen Sie Ihre Daten?

PH: Das ist in meinem Fall relativ einfach, weil ich sehr viel mit Daten vom Sozioökonomischen Panel arbeite oder mit administrativen Daten, die sowieso frei zur Verfügung stehen. Codes müssen wir für gute Veröffentlichungen bereitstellen. Das ist der Standard, der etabliert oder erzwungen wird, und der die Replikabilität ermöglicht. Ich selbst profitiere sehr stark davon, dass andere Leute ihre Daten und ihre Strategien veröffentlicht haben, die ich für die Lehre nutzen kann. Ich wurde als Wissenschaftler schon mehrmals von Studierenden kontaktiert, die meine Arbeit replizieren wollen und die dann nachfragen, was ich gemacht habe und wie ich auf das Ergebnis gekommen bin. Da fragt man sich selbst öfter mal, wie man das gemacht hat und hat Schwierigkeiten, die eigene Arbeit von vor zehn Jahren nachzuvollziehen. Ich merke aber auch, dass der Lernprozess bei den Studierenden durch Replizierung gestärkt wird. Ich halte also sehr viel von Data Sharing.

Gibt es unter den Doktorand:innen eine neue Offenheit, sich mit Open Science auseinanderzusetzen?

PH: Es gibt jetzt in den jüngeren Kohorten mehr und mehr Leute, die mit Programmen wie GitHub arbeiten, sodass diese Offenheit per definitionem immer da ist. Wenn vier, fünf Personen da sind, die ein Netzwerk bilden, dann ist es für neue Doktorand:innen einfach, sich zu integrieren und die gleichen Strategien zu nutzen. Es ist wichtig, dass es da eine kritische Masse gibt.

Wie lernt man gute Wissenschaftskommunikation?

PH: Meiner Meinung nach ist die Kombination aus Theorie und Praxis sehr wichtig. Es bringt nur etwas, wenn man die Theorie, die in einem Kurs gelernt wurde, gleich in der Praxis anwenden kann. Deswegen haben wir INSIGHTS modular aufgesetzt. In den ersten Kursen diskutiert man, was gute Wissenschaftskommunikation ist. Und dann gibt es spezifischere Kurse zu sozialen Medien oder zum Schreiben von Policy Briefings und Meinungsartikeln. In einem Kurs, den ich unterrichte, können die Studierenden mit ihrem fertigen wissenschaftlichen Aufsatz kommen und daraus ein Policy Brief anfertigen. Wir halten dann zum Abschluss eine simulierte Pressekonferenz ab. Zu der laden wir ein bis zwei Journalist:innen ein und vor denen müssen die Studierenden dann ihre Ergebnisse darstellen. Die Journalist:innen stellen im Gegenzug kritische Fragen wie im Alltag.   

Vielen Dank!

Das Interview wurde am 2. November 2022 geführt von Dr. Doreen Siegfried.

Über Prof. Dr. Peter Haan

Dr. Peter Haan ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der FU Berlin und Leiter der Abteilung Staat am DIW Berlin. In seiner Forschung evaluiert er die Auswirkungen des demographischen Wandels und von sozialpolitischen Reformen – insbesondere von Rentenreformen – und quantifiziert die Arbeitsmarkteffekte und Verteilungswirkungen. Seine Forschung wird in den führenden internationalen Fachzeitschriften publiziert, unter anderem im Economic Journal, dem Journal of Health Economics, dem Journal of Econometrics oder dem Journal of Public Economics. Prof. Dr. Peter Haan ist einer der Projektleiter von INSIGHTS, der Plattform für den Austausch zwischen Forschenden, politischen Entscheidungsträger:innen und der Öffentlichkeit.

Kontakt: https://www.diw.de/de/diw_01.c.10786.de/personen/haan__peter.html

INSIGHTS: https://berlinschoolofeconomics.de/insights

Twitter: https://twitter.com/PeterHaan8




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