Warum Open Science künftig einen Selling Point darstellen kann
Prof. Dr. Dominik Vogel über seine Open-Science-Erfahrungen
Die drei wesentlichen Learnings:
- Für Studierende ist die Idee von Open Science intuitiv verständlich. Es ist schwierig nachzuvollziehen, dass Open Science noch nicht der Standard im Wissenschaftsbetrieb ist.
- Wer in einem Projekt einmal erlebt hat, welche Vorteile ein Codebuch oder ein Datenmanagementplan bietet, der will das im nächsten Projekt nicht mehr missen.
- Open-Science-Engagement kann die Sichtbarkeit in einer wissenschaftlichen Community steigern und dadurch neue Chancen für Kollaborationen oder Projekte eröffnen.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach sogenannte Future Skills wie das Einsortieren von Informationen, das Einschätzen von Evidenzen, das Managen von Daten in der Ausbildung von Wirtschaftsstudierenden? Auch im Hinblick darauf, dass nur ein Bruchteil der Studierenden später in die Forschung geht?
DV: Es ist wichtig, diese Kompetenzen in der Lehre zu berücksichtigen. Derzeit passiert das eher implizit. Also wir sprechen über Studien, wir diskutieren Ergebnisse und wir bringen den Studierenden bei, selbst zu forschen. Noch wichtiger wäre es aber, diese Fertigkeiten expliziter in der Lehre zu vermitteln. Meiner Meinung nach sind diese Future Skills Kernkompetenzen, die alle wirtschaftswissenschaftlichen Absolvent:innen am Ende ihres Studiums haben sollten. In der Wirtschaftsforschung arbeiten wir selbst vielfach mit Daten, und vielleicht sind wir gerade dadurch auch gut geeignet, den Studierenden das am Ende auch zu vermitteln.
Welche Resonanz bekommen Sie von den Studierenden, die nach dem Studium gar nicht in die Forschung streben?
DV: Wenn es um Statistik oder die Auswertung mit statistischen Tools geht, dann gibt es schon Einzelne, die mich fragen, wozu sie das letztendlich brauchen. Ich versuche dann immer klarzumachen, dass diese Kompetenzen im Umgang mit Daten bereits jetzt gefragt und wichtig sind. Ich gehe auch davon aus, dass eine Daten-Kompetenz auf dem Arbeitsmarkt immer häufiger erwartet wird und die Anforderungen an Absolvent:innen künftig weiter ansteigen. Uns stehen immer mehr Daten zur Verfügung und wir wollen immer mehr Nutzen daraus ziehen. Die Argumentation, dass diese Kompetenz zentral für die spätere berufliche Tätigkeit ist, verfängt dann meistens. Was ich darüber hinaus mache: Ich nutze in den Veranstaltungen R anstatt des von den Studierenden oftmals bereits gewohnten SPSS. Ich preise R dann immer mit dem Argument an, dass die Studierenden am Ende nicht in der Wissenschaft arbeiten werden, sondern zumeist woanders, in unserem Fall zum Beispiel in Verwaltungen oder in Non-Profit-Organisationen. Die Chance, dass Absolvent:innen dort auf eine SPSS-Lizenz stoßen, tendiert gegen Null, weil Organisationen diese in der Regel gar nicht anschaffen, schon gar nicht für einzelne Projekte. Ein Open-Source-Tool wie R, das man an der Hand hat und nutzen kann, wenn auch nur für ein einzelnes Projekt, ist ein weiterer Skill, den man zu Markte tragen kann.
Welche Rolle spielt denn generell die Ausbildung von Methodenkompetenz im wirtschaftswissenschaftlichen Studium? Sind Sie da eine Ausnahme in Hamburg mit einem Forschungsseminar, das über zwei Semester angelegt ist?
DV: Das ist eine Besonderheit des Masterprogramms „Interdisziplinäre Public und Nonprofit Studien“. Als dieses – noch vor meiner Zeit – geschaffen wurde, wollte man explizit ein forschungsorientiertes Programm aufsetzen. Deswegen gibt es dieses doppelsemestrige Forschungsseminar und noch einen ergänzenden Methodenkurs. In den anderen Masterprogrammen gibt es ähnliche Seminare, die aber auf ein Semester beschränkt sind. So ähnlich kannte ich das aus meiner Promotionszeit in Potsdam, wo ich auch gelehrt habe. Dort hatten wir ein Forschungsseminar im Master über ein Semester als Wahlkurs angeboten. Da ist dann natürlich die Herausforderung, alles in einem Semester zu organisieren. Denn wenn man wirklich den gesamten Forschungsprozess abdecken will und von den Studierenden verlangen möchte, dass sie selbst Daten erheben und diese dann auswerten, dann ist ein Semester zu kurz. Auch weil die Studierenden auf externe Beteiligte angewiesen sind, die zum Beispiel Fragebögen ausfüllen oder sich an den Experimenten und Interviews beteiligen.
Welche großen Einsichten haben Sie bei Studierenden erlebt hinsichtlich dieses ganzen Themenbereiches Open Science?
DV: Ich habe da zwei verschiedene Gruppen erlebt. Die einen, die ihren Bachelor bereits relativ forschungsorientiert absolviert haben und dadurch eine gewisse Vorstellung davon haben, wie Forschungsprozesse funktionieren. Denen ist bewusst ist, dass das Forschen ein relativ langer Prozess ist und dass am Ende dieses Forschungsprozesses die Paper stehen. Die sind dann eher überrascht, dass es diese Möglichkeiten der Preprints oder Zusatzinformationen zu den Papern gibt. Die andere Gruppe besteht aus Studierenden, die bisher eher inhaltlich unterwegs waren und die dann überrascht sind, dass bestimmte Dinge gar kein Standard sind. Das ist ähnlich wie bei der allgemeinen Öffentlichkeit, die sich auch oft wundert, warum Offenheit und Transparenz nicht der Standard sind. Ich erlebe das auch oft im privaten Umfeld, wo sich dann gewundert wird, dass beispielsweise die Forschungsdaten und Analysen gar nicht mitbegutachtet und auch nicht veröffentlicht werden.
Haben Sie bei Studierenden gedankliche Hürden erlebt, wo Sie viel argumentieren mussten, dass Open Science eine gute Sache ist?
DV: Die, die wirklich ganz stark im Forschungsprozess drin sind, die stellen schon eher spezifische Fragen, die man auch in der Promotion stellen würde. „Ist es nicht von Nachteil, wenn ein Artikel schon mal als Preprint publiziert wurde?“, „Was, wenn da Fehler im Code sind?“ Das sind dann fortgeschrittene Gedanken dazu. Da gibt es aber keinen Widerstand. Für Studierende ist Open Science sehr intuitiv verständlich, und oftmals herrscht eher Unverständnis, warum das nicht der Standard ist.
Wie wichtig ist es, forschungsorientierten Studierenden Open-Science-Praktiken beizubringen?
DV: Wenn man die Idee von Open Science verstanden hat und auch die unterschiedlichen Möglichkeiten kennt, es in der Praxis anzuwenden und die Vorteile zu erleben, kommt man irgendwann an einen Punkt des No Return. Man kann dann nicht wieder zurück. Also ich merke das auch in meiner Forschung: Ich habe damit angefangen, weil ich dachte, so sollte Forschung eigentlich aussehen. Ich glaube, die wenigsten machen das, weil sie einen Selling Point darin sehen oder einen Karrierevorteil, sondern sie befassen sich damit, weil sie einfach davon überzeugt sind, dass das der richtige Weg ist. Das heißt, wenn man erst mal damit anfängt und sich auch die Techniken etc. angeeignet hat, dann kann man es im nächsten Projekt nicht einfach wieder weglassen; ohne dass man eine gewisse kognitive Dissonanz hervorrufen würde, mit der man als Forscher:in nicht besonders gut leben kann. Ich hatte auch schon einmal in einem Projekt den Fall, dass die Daten nicht geteilt werden konnten, weil sie zu sensibel waren. Dort haben wir uns dann Alternativen überlegt und am Ende synthetische Daten geteilt, damit man zumindest den Code nachvollziehen kann. Man kann nicht zurück zu einem alten Stand, wenn man sich erst einmal näher mit Open Science beschäftigt hat. Wenn ich in einem Projekt einmal erlebt habe, welche Vorteile ein Codebuch oder ein Datenmanagementplan hat, dann will ich das im nächsten Projekt nicht mehr missen.
Open-Science-Trainings finden in den Fachdisziplinen eher singulär statt. Tauschen Sie sich mit anderen Dozent:innen über das Thema aus? Haben Sie hier ein Netzwerk?
DV: Ich habe natürlich Kolleg:innen auf meiner Erfahrungsstufe oder etwas jünger, mit denen ich mich austausche und die Open Science auch spannend finden und praktizieren. Jedoch war meine Erfahrung in meiner Disziplin, dass das eher ein Thema für die Jüngeren war und oftmals auch noch ist. Wir Interessierten tauschen uns zu Ideen aus, aber ich kann noch nicht beobachten, dass das Thema strukturiert für die ganze Fachdisziplin angegangen wird. Soweit ich das sehe, haben wir zum Beispiel in der Doktorandenausbildung auch keinen strukturierten Ansatz, um Open Science zu vermitteln. Bei mir ist es so: Wir haben ein Kolloquium für Promovierende, das wir drei bis vier Mal pro Semester organisieren. In diesem Kolloquium stellen Promovierende oder auch wir selbst Projekte vor – als Idee oder als fertiges Paper. In diesem Kontext versuche ich die Open-Science-Themen unterzubringen. Zum Teil sind die Promovierenden auch schon mit Open Science in Kontakt gekommen, haben Präregistrierungen gemacht o.ä. Allgemein nimmt das immer mehr zu, dass die Promovierenden bereits davon gehört haben. Als ich 2011 angefangen habe zu promovieren, hatte ich davon noch nie gehört und kannte auch niemanden, der das gemacht hat. Das kam im Laufe der Zeit. Und jetzt ist die Wahrscheinlichkeit schon sehr viel höher, dass Promovierende bereits damit in Kontakt gekommen sind. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass wir viele Psycholog:innen bei uns haben, die das bereits aus der Lehre kennen.
Wo haben Sie bei Ihren Studierenden Aha-Erlebnisse beobachtet?
DV: Wenn Forschende Daten und Codes teilen, können andere Forschende oder auch Studierende davon lernen und auch Sachen kopieren und testen. Das fanden viele wirklich sehr spannend. Das war auf jeden Fall ein Aha-Erlebnis. Zudem haben viele die Möglichkeit kennengelernt, eine Preregistration für ein studentisches Forschungsprojekt zu machen. Das ist glaube ich schon etwas gewesen, was den Studierenden sonst nicht intuitiv in den Sinn gekommen wäre. Dort musste man auch erst mal erklären, warum wir das jetzt machen und warum das nicht nur was für die „großen“ Forscher:innen ist.
Welche Rolle spielt eine gesunde Skepsis gegenüber den Forschungsergebnissen, die andere produziert haben?
DV: Skepsis spielt eine große Rolle, und das versuche ich auch stark in meine Lehrveranstaltungen einzubringen. Nicht weil man anderen nicht trauen kann, sondern weil Wissenschaft immer kritisches Hinterfragen ist. Also sich der Forschung insgesamt kritisch zu nähern. Ein Beispiel: Zu Beginn meines Forschungsseminars sollten die Studierenden sich ein Paper aussuchen, präsentieren und kritisch diskutieren. Ich habe dann auch immer gefragt, welche Note sie dem Paper geben würden und die Studierenden waren immer sehr großzügig. Sie fanden die Paper toll. Wenn man dann aber angefangen hat zu diskutieren und sie auf einzelne Punkte hingewiesen hat, wurde auch die Skepsis größer. Das ist mir auch wichtig, weil das eine Kompetenz ist, die man später in verschiedenen Bereichen gebrauchen kann. Also erst einmal natürlich beruflich: ob in der Wissenschaft oder bei einer sonstigen beruflichen Tätigkeit – man sollte in der Lage sein, Daten und Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Mir persönlich ist die gesellschaftliche Komponente aber noch wichtiger, die jetzt mit Corona eine neue Bedeutung erfahren hat und offensichtlich geworden ist. Meiner Meinung nach, ist es extrem wichtig, dass auch Nichtwissenschaftler:innen in der Lage sind, Evidenz gegeneinander abzuwägen. Außerdem lag es mir auch immer am Herzen, Inhalte zu vermitteln, die über das reine Studium hinausgehen und vielleicht sogar einen direkten Nutzen im Alltag haben. Im Leben hat man immer mit Evidenz zu tun, und sei es nur, sich im Privaten, kritisch mit Wissenschaft auseinanderzusetzen.
Welches Feedback bekommen Sie auf solche Forschungsseminare?
DV: Normalerweise kommen die Studierenden im Bachelor nicht wirklich in Kontakt mit der Frage, wie genau das eigentlich entsteht, was man so liest. Ein solches Forschungsseminar ist deshalb eine hervorragende Gelegenheit, den Forschungsprozess und die darin auftretenden Herausforderungen und Hürden zu verstehen, nachzuempfinden und kritisch zu hinterfragen. Es kommt am Ende schon das Feedback, dass einige die neuen Sichtweisen und das erworbene Wissen, selbst wenn sie es vielleicht später nicht mehr verwenden, als sehr bereichernd empfunden haben. Den Blick auf den gesamten Forschungsprozess finden viele Studierende durchaus interessant und spannend.
Bilden die Pre-Docs von heute eine neue Forschergeneration?
DV: Das fällt mir ein bisschen schwer zu beantworten, weil ich nicht weiß, was die vor mir für eine Forscher:innengeneration waren. Ich glaube eher, die Ideen von Open Science sind heute einfach verfügbarer und die Wahrscheinlichkeit, dass man damit in Kontakt gerät, ist sehr viel größer. Ich könnte mir vorstellen, dass jemand, der vor 20 oder 30 Jahren promoviert hat, viele Ideen auch damals schon interessant und attraktiv gefunden hätte, wenn sie denn da gewesen wären.
Können Sie sich erklären, wo jetzige Doktorand:innen damit in Kontakt kommen?
DV: Ich glaube, ein Teil von ihnen bringt das aus dem Studium mit. Und wenn sie es nicht von vorneherein mitbringen, dann ist die Wahrscheinlichkeit heutzutage groß, dass sie mit dem Thema auf Konferenzen oder in Papern in Kontakt kommen. Als ich als Doktorand auf Konferenzen gefahren bin, gab es da keine Preregistrations und kein Open Data. Fahre ich heute auf eine Konferenz, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich da einer Studie begegne, die preregistered ist oder dass ich ein Paper habe, wo ein Open Science Badge drauf ist. Diese Option gab es früher einfach nicht, würde ich sagen.
Wann sind Sie denn erstmalig in Kontakt gekommen mit dem ganzen Themenkomplex Open Science?
DV: Es gab einen Professor (Politikwissenschaftler) im Bachelorstudium, der Daten und Codes auf seiner Webseite veröffentlicht hat. Das fand ich spannend. Ich glaube aber, dass ich eher über das Open-Access-Thema zu Open Science gekommen bin. Der Anstoß war, als ich zum ersten Mal ein Paper publiziert habe. Damals musste man die Copyright-Agreement-Geschichten noch von Hand unterschreiben und mit der Post schicken oder faxen. Das war schon so was, wo ich dachte: Okay, ich trete jetzt alle Rechte ab, also alles. Außer dass mein Name bleibt, ist sozusagen alles Verlagseigentum. Das war schon sehr merkwürdig. Ich glaube, von da an bin ich immer wieder mit diesem Open-Access-Thema in Kontakt gekommen und dann war Pregistration der nächste Schritt. Das war einfach interessant, weil ich dachte, dass man es so machen müsste. Forschung sollte nicht so aussehen, dass man in den eigenen Daten fischt, bis man signifikante Zusammenhänge findet und diese dann mit Theorie hinterlegt. Meine Frau ist Psychologin und hat Informationen über die Replikationskrise aus dem Studium mitgebracht und dadurch war das dann auch bei mir sehr präsent. Dass ich wirklich aktiv Open Science praktiziert habe, kam dann über den Austausch via Social Media. Ich bin relativ aktiv auf Twitter und habe hier viele interessante neue Ansätze kennengelernt. Durch den Austausch mit anderen habe ich auch viel Neues ausprobiert zum Beispiel Open Science Framework. Das war am Ende meiner Promotion, am Anfang meiner Juniorprofessoren-Zeit, also vor fünf Jahren ungefähr, und dann passierte aber auch erst einmal nichts weiter. An einem bestimmten Punkt tauchte dann Open Data und Open Materials überall auf und ich habe für mich beschlossen, dass ich das auch machen will und das Thema auch in meine Lehre einbeziehen möchte.
Haben Sie durch Open Science Vorteile für sich erlebt?
DV: Hierzu habe ich zwei Beispiele: Zum einen habe ich systematisch die Postprints hochgeladen, wenn die Embargofristen abgelaufen waren, und bei Twitter die Artikel beworben. Ich hatte dann auch einen Blogpost dazu geschrieben, was man beim Thema Postprints darf und was nicht. Das gab viel positives Feedback in der Community. Zum anderen habe ich ein Paper verfasst, das mein bisher wichtigstes ist und wo ich und mein Ko-Autor exzessiv Pregistration und Open Data genutzt haben. Wahrscheinlich konnten wir dieses Paper genau deshalb in einem prestigeträchtigen Journal veröffentlichen, weil wir im Paper den Aspekt der Openness als einen Selling Point aufgeführt haben. Das Paper wurde Ende 2019 akzeptiert, da konnte man das noch als einen guten Selling Point nutzen. Inzwischen hat sich das vielleicht schon ein bisschen abgenutzt. Also ein, zwei Jahre später, wird es zwar noch positiv zur Kenntnis genommen, aber dass man einen Absatz ins Papier schreibt und sich dafür lobt, ist inzwischen sicherlich schwierig.
Wo haben Sie die Postprints veröffentlicht?
DV: Ganz am Anfang, als ich noch an der Universität Potsdam war, wurde das im Repository der Uni-Bibliothek hochgeladen und dann je nach geltendem Embargo. Inzwischen ist es so, dass viele Journals erlauben, das Paper auf der eigenen Webseite sofort nach Veröffentlichung und in einem der Repositories nach 18 oder 24 Monaten hochzuladen. Deshalb stelle ich die Sachen dann in der Regel erst mal bei mir auf die Website und wenn die Embargos abgelaufen sind, ist meine Forschung in der Regel bei SocArXiv zu finden.
Und erleben Sie Open-Access-Zitationseffekte? Dass die Sachen, die tatsächlich im Open Access zur Verfügung stehen und auch gut zugänglich sind, dass die häufiger zitiert werden als andere Artikel?
DV: Das ist bei mir schwierig zu bewerten, weil ich Open Access systematisch nutze und somit alles irgendwann verfügbar ist. Da fehlt dann der Vergleichspunkt. Bei den Artikeln, die sich an Praktiker:innen richten, sind die Klickzahlen vielleicht etwas höher. Das ergibt auch Sinn, weil das sehr oft Leute lesen, die keinen Zugang zum akademischen Bibliothekssystem haben. Meine Dissertation habe ich auch als Monografie im Open Access veröffentlicht, denn ich hatte damals schon die Idee, dass es erfolgreicher ist, wenn die Arbeit frei verfügbar ist. Bei uns gab es die Möglichkeit, dass bei entsprechenden Noten kostenlos über den Uni-Verlag abzuwickeln. Ich glaube schon, dass meine Dissertation auf diese Weise eine wesentlich größere Verbreitung gefunden hat, als wenn ich sie bei einem Verlag in einer Dissertationsreihe veröffentlicht hätte.
Wo veröffentlichen Sie Forschungsdaten?
DV: Das hat sich ebenfalls über die Zeit hinweg verändert. Wir haben sie zum Teil bei Dataverse veröffentlicht, weil die Journals das in gewisser Weise nahegelegt haben. In letzter Zeit habe ich die Daten bei Zenodo hochgeladen, das ist non-profit und wird von der EU unterstützt. Wobei man sagen muss, die sind beide nicht besonders schön zu bedienen, da würde ich mir ein intuitiveres Handling wünschen.
Haben Sie auch erlebt, dass Sie mehr gesehen werden? Gab es Anfragen für Nachnutzung oder Co-Autorschaften?
DV: Es gibt ein paar Leute in der Community, die Open Science relativ forciert machen. Ich glaube, einigen Leuten bin ich als ein Teil dieser Gruppe ein Begriff. Man wird dann auch mal angesprochen und etwas gefragt. Ich bin auch einmal zu einem Vortrag zum Thema Open Science eingeladen worden. Außerdem entstand bei uns in der Disziplin ein neues Journal, das explizit Open Access sein und möglichst viele Open-Science-Aspekte vereinen sollte. Das ist das Journal of Behavioral Public Administration. Dadurch, dass ich Open Science selbst aktiv betrieben habe, bin ich dann auch involviert gewesen und bin dort jetzt zusammen mit einem Kollegen für die Kommunikation zuständig. Das beinhaltet schon ein gewisses Prestige für meine Karriere. Außerdem bietet mir die Mitarbeit beim Journal natürlich auch Sichtbarkeit in der Community. Insgesamt ist das Journal einfach genau das, was ich mir vorstelle.
Machen Sie auch selbst Präregistrierungen?
DV: Nicht für alle Projekte, aber schon da, wo konkrete Hypothesen getestet werden und wir starke theoretische Annahmen haben. Das machen wir dann im Open Science Framework.
Veröffentlichen Sie auch insignifikante Ergebnisse, also sogenannte Nullergebnisse?
DV: Ja, auf jeden Fall. Ich habe eine Studie mit einem dänischen Kollegen publiziert, die auf Nullergebnissen basiert. Dieses war aber wahrscheinlich recht unkontrovers, weil es im Grunde bestätigt hat, was vermutlich sowieso die meisten gehofft hatten. Es ging um Non Response Bias, also die Frage, ob wir, wenn wir Studien über Führung machen, nicht Probleme dadurch bekommen, dass uns bestimmte Führungskräfte antworten und andere nicht. Wir haben hierfür eigene Daten mit den Daten anderer kombiniert, und haben in der Summe keine solchen Effekte gefunden.
Welche drei Gründe für Open Science würden Sie Peers, Doktorand:innen oder Masterstudierenden nennen?
DV: Zuerst würde ich wahrscheinlich immer das idealistische Argument einbringen. Wir Wissenschaftler:innen sind ja stark daran interessiert, wahre Zusammenhänge aufzudecken und hinter die Dinge zu schauen. Viele Open-Science-Instrumente tragen dazu bei, dass man in der Lage ist, genau das zu tun und sich dabei nicht selbst täuscht. Gerade Preregistration ist hier ein starkes Argument. Wenn ich mit jüngeren Kolleg:innen spreche, wäre das zweite Argument aber auch das Karriereargument. Ich habe zumindest die Hoffnung, dass die Open-Science-Aspekte immer wichtiger und die Journals diese Praktiken immer stärker verlangen werden. Unsere Top-Journals in der Disziplin haben in den letzten Jahren auch Schritte in die Richtung unternommen, so dass man beispielsweise angeben muss, ob man die Daten teilt. Wenn ja, muss man angeben, wo sie zur Verfügung stehen und wenn nicht, muss man dies begründen. Das wird auch tatsächlich kontrolliert, und da glaube ich, dass die anderen Journals nachziehen werden. So hat man natürlich einen gewissen Wettbewerbsvorteil, wenn man bereits jetzt damit vertraut ist. Zudem denke ich, dass in Berufungsverfahren das Thema Open Science in den kommenden Jahren eine größere Rolle spielen wird. Man ist also gut beraten, sich schon jetzt mit Open Science vertraut zu machen und seine Forschungsergebnisse zu öffnen.
Wird die Gruppe der Idealist:innen, die Open Science aus intrinsischer Motivation heraus macht, in der Zukunft größer werden?
DV: Ich glaube, apriori, wird die Gruppe nicht größer. Aber die auf der anderen Seite wechseln vielleicht in das Open-Science-Lager, weil der Eigennutzen über die Zeit größer wird. Wenn ich heute mit einer Juniorprofessur anfange, ist es natürlich schon eine relativ starke Aussage zu glauben, zu wissen, was in Berufungsverfahren in fünf Jahren alles an Kriterien auf der Liste steht. Ob Open Science künftig nicht dazugehören wird, dafür würde ich persönlich meine Hand nicht ins Feuer legen. Wie wir sehen, findet Open Science schon jetzt immer wieder in Ausschreibungsverfahren Erwähnung. Der erste und der wichtigste Blick, der geht immer auf die Publikationsliste, da führt aktuell kein Weg dran vorbei. Aber dann kommt ein Punkt, wo mehrere Kandidat:innen gleichauf sind, und man mit zusätzlichen Kompetenzen punkten kann. Und da wird gute wissenschaftliche Praxis und Wissenstransfer sicherlich auch eine Rolle spielen.
Sie sind sehr engagiert in dem ganzen Bereich Open Science, machen Wissenschaftskommunikation, haben jetzt dieses Lehrkonzept. Wo sehen Sie Ihr Engagement der Zukunft?
DV: Ich habe schon länger das Thema Reproduzierbarkeit von Ergebnissen im Kopf. Da gibt es zwei, drei Ideen, wie man das mal im Feld machen könnte. Hier würde ich mir die Daten gerne selber noch einmal ansehen. Und dann würde ich natürlich mit einem größeren Zeithorizont gerne stärker Einfluss auf Journals nehmen und die bisherige, positive Entwicklung weiter vorantreiben. Wir haben im Feld beispielsweise noch kein Journal, das Registered Reports anbietet, also einen zweistufigen Review-Prozess. Hier habe ich schon erste Diskussionen angestoßen, würde mich allerdings gerne noch stärker engagieren.
Vielen Dank!
Das Interview wurde geführt von Dr. Doreen Siegfried.
Das Interview wurde geführt am 09.11.2021.
Über Prof. Dr. Dominik Vogel
Dominik Vogel ist seit 2016 Juniorprofessor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Public Management, an der Universität Hamburg. Seine Forschung konzentriert sich auf Führung im öffentlichen Sektor, auf Motivation und Einstellungen von Beschäftigten, Personalmanagement, Performancemanagement und die Interaktion von Bürger:innen mit der Verwaltung. Seine Forschungsergebnisse publiziert er regelmäßig in internationalen Fachzeitschriften wie z. B. Journal of Public Administration Research and Theory oder Public Administration Review.
Vor seinem Ruf an die Universität Hamburg war Dominik Vogel PostDoc am Lehrstuhl für Public & Nonprofit Management an der Universität Potsdam. Dominik Vogel verfasste seine Dissertation zum Thema Führung im öffentlichen Sektor. Im Jahr 2020 habilitierte er sich im Fach Betriebswirtschaftslehre. Die Habilitationsschrift trägt den Titel „Essays on Motivation and Leadership in the Public Sector„.
Seit 2019 ist Dominik Vogel Communications Editor des Journal of Behavioral Public Administration und Mitglied des Editorial Boards von Public Administration Review sowie Review of Public Personnel Management.
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