Open Science ermöglicht Strukturierung und Transparenz

Susanne Adler von der LMU über ihre Open-Science-Erfahrungen

Foto von Susanne Adler

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Durch Praktiken wie die Präregistrierung von Studien und das Teilen von Daten und Materialien über Plattformen wie das Open Science Framework (OSF) wird nicht nur die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit verbessert, sondern auch Publikationsverzerrungen entgegengewirkt.
  • Die Diskussion von Publikationsverzerrungen und Forschungsfehlern im Rahmen der Lehre bereitet Studierende auf eine transparente Forschungspraxis vor und motiviert sie, Open-Science-Prinzipien in ihren eigenen Arbeiten anzuwenden.
  • Die aktive Beteiligung an Open Science und die Anwendung seiner Praktiken, wie die Organisation und das Teilen von Forschungsarbeiten über das OSF, unterstützt nicht nur die individuelle Forschungsarbeit, sondern trägt auch zur wissenschaftlichen Gemeinschaft bei, indem sie einen verbesserten Zugang zu Forschungsergebnissen und -materialien ermöglicht.

Könnten Sie zu Beginn bitte Ihr Forschungsthema kurz erläutern?

Susanne Adler: Mein erster Forschungsbereich widmet sich dem Konsumentenverhalten, also der Frage, aus welchen Gründen wir bestimmte Entscheidungen treffen. Der zweite Schwerpunkt fokussiert auf Metaforschung mit dem Ziel, Forschungsprozesse zu evaluieren und zu verbessern. Ein zentrales Anliegen ist es dabei, Daten nicht nur sorgfältig zu erheben, sondern auch sicherzustellen, dass sie nachhaltig genutzt werden können. Viele Potentiale bleiben ungenutzt, da Informationen beispielsweise über Geschlechts-, Alters- oder Tageszeiteneffekte, die nebenbei erhoben werden, oft nicht analysiert werden, weil die Daten primär für ein anderes Forschungsziel erhoben wurden. Darüber hinaus werden Kontrollvariablen, die keinen Effekt zeigen, häufig nicht berichtet. Diese Beobachtungen motivierten mich, mich intensiver mit diesem Bereich zu beschäftigen. Interessanterweise bot mir die Corona-Pandemie, die mit einer frühen Phase meiner Promotion zusammenfiel, die Gelegenheit, mich stärker auf diese Metathemen zu konzentrieren, da einige Laborexperimente nicht durchführbar waren.

Wie kamen Sie zum Thema Open Science?

Susanne Adler: Meine Annäherung an Open Science war vor allem durch frühe Einflüsse in meiner akademischen Laufbahn geprägt. Ein Freund von mir, der in Psychologie promovierte, arbeitete mit mir an einem Forschungsprojekt zusammen. Er schlug vor, unser Projekt von Anfang an auf dem Open Science Framework zu registrieren, einschließlich der Präregistrierung unserer Studie und der Veröffentlichung aller Daten sowie des Schreibens des R-Codes, bevor wir überhaupt mit der Datenerhebung begannen. Diese Herangehensweise erschien mir sinnvoll, und so wurde ich quasi in die Praktiken von Open Science eingeführt. Zusätzlich wurde mir durch meine eigene Forschung im Bereich des Konsumentenverhaltens bewusst, dass ein erheblicher Publikationsbias existiert, oft verbunden mit zu kleinen Stichprobengrößen und geringen Effektstärken. Diese Erkenntnis begann sich schon während meines Bachelorstudiums, als ich bemerkte, dass die empirischen Ergebnisse aus Projekten im Studium nicht so überzeugend waren wie die in Fachjournalen veröffentlichten Studien. Anfangs dachte ich als Studentin, dies läge allein an meiner eigenen, unerfahrenen Arbeit. Mit der Zeit erkannte ich jedoch, dass eine selektive Berichterstattung in Fachjournalen auch ein Problem ist.

Könnten Sie Best-Practice-Beispiele aus Ihrem Arbeitsalltag nennen, die Ihnen besonders am Herzen liegen und die Sie eventuell teilen möchten?

Susanne Adler: Ein universelles Best-Practice-Beispiel, das in jeder Situation ideal funktioniert, gibt es nicht. Für mich persönlich ist es jedoch von großer Bedeutung, mit Daten arbeiten zu können, deren Herkunft und Erhebungsmethodik mir transparent sind – über das Maß hinaus, das in der zugehörigen Publikation beschrieben wird. Die Präregistrierung von Studien betrachte ich als weiteren wichtigen Baustein. Diese Aspekte zusammen bilden für mich sozusagen ein Gesamtpaket, das eine Studie vertrauenswürdig und transparent macht und mir ermöglicht, auf einer soliden Datenbasis aufzubauen.

Also sprechen wir nun darüber, wie es möglich ist, die Arbeit anderer nachzuvollziehen, korrekt?

Susanne Adler: Richtig. Transparenz in der Forschung ist mir nicht nur bei der Arbeit anderer wichtig, sondern ebenso bei meinen eigenen Projekten. Konkret bedeutet das, dass ich für konfirmatorische Forschungsarbeiten eine Präregistrierung durchführe. Sobald ich über Daten, Skripte, Fragebögen oder andere Stimuli verfüge, stelle ich diese über das Open Science Framework (OSF) zur Verfügung. Dabei achte ich darauf, dass die Materialien in einer Form bereitgestellt werden, die ich selbst als nutzbringend erachte. Ein entscheidender Punkt ist, dass zu den auf OSF hinterlegten Daten stets ausreichende Informationen vorliegen. Dazu gehört beispielsweise die Erhebungsmethoden und den Untersuchungsablauf klar darzustellen sowie ein Codebuch, das die Variablen erklärt. Mir ist wichtig, dass die Daten nicht nur als reine Zahlenreihen existieren, sondern dass auch der Kontext und die Bedeutung der Variablen klar sind. Die Möglichkeit zur Nachvollziehbarkeit ist essentiell, auch wenn nicht jedes Detail perfekt sein kann und muss. Beispielsweise verstehe ich, wenn bei einem R-Code bestimmte Funktionen nach einiger Zeit nicht mehr einwandfrei arbeiten. Natürlich sollte man stabile Codes schreiben, aber sich als Forscher:in überhaupt zu engagieren und Materialen zugänglich zu machen, ist zunächst wichtiger als Perfektion. Es ist entscheidend, dass die Forschungsgemeinschaft zumindest die Grundlagen der Arbeit nachvollziehen kann.

Konnten Sie bereits persönliche Vorteile durch die Anwendung verschiedener Open-Science-Praktiken feststellen?

Susanne Adler: Ja, definitiv. Insbesondere werde ich oft auf unsere Ergebnisberichte angesprochen, die in Quarto-Dokumenten oder interaktiven Webapps verfasst sind. Das macht meine Arbeit auch für diejenigen zugänglich, die möglicherweise nicht mit R arbeiten. Vor allem in der Forschungsgemeinschaft erhalte ich Rückfragen wie „Wie hast du das genau umgesetzt und lohnt sich das?“. In solchen Fällen verweise ich gerne auf Materialien, die ich auf dem Open Science Framework (OSF) zur Verfügung stelle. Zum Beispiel sage ich dann: „Schau, der gesamte Code befindet sich auf dem OSF und lässt sich sehr gut wiederverwenden. Es wäre großartig, wenn du mir Feedback geben könntest, falls du ihn nutzt und dabei auf Probleme stößt oder Verbesserungsvorschläge hast.“ Diese Offenheit ermöglicht nicht nur einen Austausch über die Forschungspraxis, sondern betont auch, dass Forschung mit vielen Unsicherheiten behaftet ist und selten so geradlinig verläuft, wie es manchmal dargestellt wird.

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie intensiv das Open Science Framework nutzen. Heißt das, Sie veröffentlichen dort all Ihre Forschungsdaten, Skripte und weitere Materialien, oder verwenden Sie auch andere Plattformen?

Susanne Adler: Ein Großteil meiner Arbeit befindet sich, sofern möglich, auf dem OSF. Es ist mir besonders wichtig, dass alle Komponenten meiner Forschung – von den Methodenmaterialien über die Skripte bis hin zu den Ergebnisberichten – zentral gesammelt und mit einer DOI versehen werden können. Das bietet einen permanenten Link zu allen Ressourcen. Die Plattform ermöglicht mir eine effektive Strukturierung meiner Projekte und vereinfacht das Teilen mit anderen. Zudem profitiere ich von einem Netzwerk, in dem der Mehrwert von OSF weitgehend anerkannt ist. Projekte, die noch nicht finalisiert sind, bleiben im OSF zunächst privat und sind für außenstehende nicht sichtbar. Sobald ein Projekt als Paper veröffentlicht ist, veröffentliche ich auch das OSF Projekt.

Ist es in der Konsumentenforschung üblich, Forschungsdaten und -materialien zu teilen, und wird dies in Ihrer Community als gute Praxis angesehen?

Susanne Adler: Ob es üblich ist, Forschungsmaterialien und Daten zu teilen, hängt stark vom jeweiligen Forschungsbereich innerhalb der Konsumentenforschung ab. Aus meiner Perspektive wird insgesamt noch zu wenig Material geteilt. In der Forschungsgemeinschaft, in der ich aktiv bin, wird es allerdings als gute Praxis angesehen, zumindest die Daten verfügbar zu machen. Daten und Materialien zu teilen bietet allerdings auch den Vorteil, dass alle Ressourcen zentralisiert sind und nicht nur auf persönlichen Speichermedien wie Dropbox oder privaten Computern liegen. Das ist besonders wichtig, da immer wieder Forschende, insbesondere Doktorand:innen, die akademische Welt verlassen könnten. Dadurch bleibt gewährleistet, dass alle Materialien auch zukünftig zugänglich sind.

Angenommen, eine andere Doktorand:in steht vor der Entscheidung, Open Science Framework (OSF) für ihre Arbeit zu nutzen und bittet Sie um Rat. Welche Hauptvorteile von OSF würden Sie hervorheben, insbesondere in Bezug auf die eigene Forschungsarbeit?

Susanne Adler: Ganz klar, ich würde zur Nutzung raten. Der entscheidende Vorteil von OSF liegt in der Strukturierung und Organisation der Forschungsdaten und der Forschungsmaterialien. Es erfordert, dass ich meine Daten so vorbereite, dass sie sowohl für mich selbst als auch für Außenstehende verständlich sind. Dies fördert nicht nur die Klarheit in der eigenen Arbeit, sondern erleichtert auch das Teilen von Daten im Projektteam und mit der Forschungsgemeinschaft. OSF dient daher nicht einfach nur als Ablage – es verbessert Zugänglichkeit, Nachvollziehbarkeit und Kollaboration. Darüber hinaus ist das OSF benutzerfreundlich, was die Handhabung vereinfacht und effizient unterstützt.

Sie haben den Vorteil vom Open Science Framework zur Strukturierung der eigenen Arbeit hervorgehoben und dessen einfache Bedienoberfläche gelobt. Würden Sie also sagen, dass die Nutzung von OSF auch als eine Investition in Ihr zukünftiges Selbst betrachtet werden kann?

Susanne Adler: Auf jeden Fall. Strukturierung—sei es auf dem OSF oder in der eigenen Ablage—ist eine langfristige Investition in die eigene Arbeit. Es gab Zeiten, speziell zu Beginn meiner Dissertation, in denen ich Ordner angelegt habe, deren Sruktur ich heute kaum noch nachvollziehen kann. Tatsächlich kenne ich die Situation, wenn Projekte oder Daten für Monate liegenbleiben, weil beispielweise dringendere Aufgaben Vorrang hatten. Besonders bei Datenanalysen kann es schnell passieren, dass man sich fragt: „Was genau habe ich hier eigentlich gemacht?“ In solchen Momenten erweist sich eine klare Datenstruktur als wertvolles Instrument zur Selbstorganisation. Es zwingt, eine Struktur zu schaffen, die nicht nur ich selbst in ein paar Jahren verstehen kann, sondern die auch für andere zugänglich und verständlich ist.

Im Kontext von Replikationsstudien und der Bedeutung der Reproduzierbarkeit und Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen – haben Sie bereits Erfahrungen mit der Durchführung solcher Studien gesammelt?

Susanne Adler: Ja, tatsächlich habe ich bereits Replikationsstudien durchgeführt und letztes Sommersemester sogar ein Seminar an der LMU geleitet, in dem Studierendengruppen Replikationen umsetzten. Für die Studierenden war die Erfahrung sehr bereichernd, da sie wissenschaftliche Artikel sehr detailliert und mit einem kritischeren Blick zu lesen. Normalerweise konsumieren wir Artikel schnell und fokussieren uns auf die Kernbotschaften. Die Replikation fordert jedoch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Material, wobei oft auffällt, was im Reporting fehlt. Häufig entstanden Diskussionen darüber, wie bestimmte Methoden genau angewandt wurden, was auf Unklarheiten in den Originalstudien hinwies. Diese Erfahrungen waren für mich auch lehrreich, um zu reflektieren, wie ich meine eigenen Forschungsergebnisse so darstellen kann, dass sie verständlich sind. Eine Herausforderung stellt dabei beispielsweise auch die Nutzung spezifischer Software dar, wie beispielsweise Qualtrics für Umfragen, zu der nicht jede:r Zugang hat. Eine PDF-Version des Fragebogens kann eine Annäherung bieten, entspricht jedoch nicht dem Original, was einen Kompromiss darstellt.

In Ihrer Arbeit im Bereich der Konsumentenforschung haben Sie erwähnt, dass Sie mit Psycholog:innen zusammenarbeiten. Wie relevant ist es für Sie, sich mit den Methoden der Psychologie auseinanderzusetzen? Hat dies einen Einfluss auf Ihre Forschung?

Susanne Adler: Das Thema ist äußerst relevant und interessant für mich. Viele der Theorien, die in der Konsumentenforschung zur Anwendung kommen, stammen ursprünglich aus der Psychologie. In gewisser Weise kann man große Teile der Konsumentenforschung als eine Form der Angewandten Psychologie betrachten, in der psychologische Theorien und Methoden adaptiert und angewendet werden. Auch wenn die Konsumentenforschung weitere Teilbereiche umfasst, ist der Bereich, in dem ich tätig bin, stark von der Psychologie beeinflusst. Daher spielt die Orientierung an den Prinzipien von Open Science in meiner Arbeit eine besonders wichtige Rolle.

Könnten Sie uns Einblicke in Metaforschung geben, insbesondere im Hinblick auf Reproduzierbarkeit und Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen? Welche Erkenntnisse haben Sie in diesem Bereich gewonnen?

Susanne Adler: In Bezug auf Reproduzierbarkeit zeigt sich, dass viele Angaben in wissenschaftlichen Artikeln nicht uneingeschränkt nachvollziehbar sind. Oft fehlen Details, was durch die Wort- und Zeichenbegrenzungen in Journalartikeln bedingt ist. Aus meiner Sicht müssen auch nicht alle Einzelheiten im Forschungspapier beschrieben werden, es sollte jedoch sichergestellt sein, dass die Forschung nachvollziehbar bleibt. Eine Möglichkeit hierzu bietet Open Science, etwa durch das Teilen von Materialien wie Fragebögen, Analysecodes oder auch das Veröffentlichen von zusätzlichen Dokumenten wie Literature Reviews, die dann detailliert deren Methodik, einschließlich verwendeter Schlüsselwörter und Herangehensweisen, beschreiben, oder Dokumente, in denen etwaigen Abweichungen von der Präregistrierung zugänglich sind. Die Praxis der Präregistrierung gilt zwar als Standard, um Forschungspläne transparent zu machen, doch oft ergeben sich im Verlauf der Forschung Änderungen. Für solche Fälle sollten Abweichungen dokumentiert und zusätzliche Analysen, wie etwa Sensitivitätsanalysen oder Robustheitstests, die nicht präregistriert waren, durchgeführt werden.

Konsumentenforschung bietet faszinierende Einblicke, die weit über akademische Kreise hinaus von Interesse sein können. Nutzen Sie verschiedene Kanäle oder Formate, um Ihre Forschungsergebnisse auch einem nicht-wissenschaftlichen Publikum zugänglich zu machen?

Susanne Adler: Tatsächlich habe ich einige Artikel für die Praxis verfasst und an einem Buchprojekt in der Reihe „Science meets Practice“ mitgearbeitet, das sich mit der multisensorischen Wirkung von Verkaufsumgebungen beschäftigt. Zusätzlich habe ich an einigen Science Slams teilgenommen, bei denen ich die Herausforderungen und Tücken des wissenschaftlichen Prozesses humorvoll beleuchtet habe. In einem meiner Vorträge, betitelt „Die 1000 Tode wissenschaftlicher Erkenntnis“, habe ich den Weg von der Ideenfindung bis zur Publikation – mit all seinen Hürden und Fallstricken – dargestellt, unterlegt mit einer Vielzahl von Memes. Obwohl der Vortrag primär wissenschaftliche Themen behandelte, stieß er auf breites Interesse, da das Publikum die geschilderten Erfahrungen von Rückschlägen und unvollendeten Projekten leicht nachvollziehen konnte.

Welche Vorteile sehen Sie darin, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Rückmeldungen zu erhalten?

Susanne Adler: Eine direkte Rückmeldung ist oft das positive Feedback zu meinen Vorträgen und die Identifikation des Publikums mit den angesprochenen Problemen. Vor allem Studierende fühlen sich ermutigt, wenn sie erfahren, dass Forschung nicht perfekt ist, sondern auch Unsicherheiten und nicht immer eindeutige Ergebnisse mit sich bringt. Diese Gespräche verdeutlichen, dass Wissenschaft ein Prozess mit Höhen und Tiefen ist, ähnlich wie in jedem anderen Beruf. Indem ich diese Aspekte offen anspreche, fördere ich das Verständnis für die Wissenschaft als einen Bereich voller Entdeckungen und Herausforderungen. Dieser Austausch ist auch für Unternehmen aufschlussreich, da er zeigt, dass Forschungsergebnisse nicht immer direkt übertragbar sind, aber dennoch wichtige Impulse für die Praxis bieten können.

Publizieren Sie auch Ergebnisse, die statistisch nicht signifikant sind?

Susanne Adler: Kürzlich haben wir in den „Marketing Letters“ einen Artikel veröffentlicht, in dem wir uns mit dem Einfluss von Koffein auf den Attraktionseffekt bei der Auswahl mehrerer Produkte befassten, ein anerkanntes Phänomen in der Konsumentenforschung. In den ersten beiden Studien beobachteten wir diesen Effekt. In einer dritten, methodisch veränderten Studie, in der wir unter anderem die Koffeindosis reduzierten, konnten wir den Effekt jedoch nicht replizieren. Wir standen vor der Herausforderung, wie wir mit diesen Ergebnissen im Artikel umgehen sollten, insbesondere da in der Konsumentenforschung eher selten nicht signifikante Ergebnisse veröffentlicht werden. Wir entschieden uns, die Ergebnisse transparent darzustellen und die methodischen Unterschiede zu diskutieren. Der Artikel wurde akzeptiert, was uns freute. Wir hatten Bedenken, dass die Arbeit abgelehnt werden könnte oder wir aufgefordert würden, den Effekt der verringerten Koffeindosis zur Sicherheit erneut nachzuweisen, was aufgrund des Aufwands und der Kosten nicht trivial ist.

Ich würde gerne Ihren persönlichen Ausblick erfragen. Als jemand, der bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt hat und dennoch am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere steht, was würden Sie jungen Doktorand:innen raten, die gerade beginnen, oder auch erfahreneren Wissenschaftler:innen, die sich noch nicht mit Open Science auseinandergesetzt haben? Welche ersten Schritte in Richtung Open Science empfehlen Sie?

Susanne Adler: Eine Empfehlung von mir wäre der „Student´s Guide to Open Science“ von Charlotte R. Pennington, ein kompaktes Handbuch von rund hundert Seiten. Für den Einstieg in Open Science halte ich diesen Guide für ausgezeichnet. Angesichts der zahlreichen Entwicklungen, die sowohl in der Psychologie als auch in anderen Fachbereichen stattgefunden haben, bietet Open Science vielfältige Engagement- und Beitragsmöglichkeiten. Dies kann anfangs überwältigend wirken. Mein erster Ratschlag wäre daher, dieses Buch zu lesen, um einen grundlegenden Überblick zu erhalten. Als zweiten Schritt empfehle ich, ein konkretes Projekt auszuwählen, das für einen selbst interessant erscheint. Dies könnte das Anlegen eines OSF-Projekts sein oder das erste Mal die Arbeit mit R-Code statt herkömmlicher Point-and-Click-Software. Idealerweise sollte man dabei mit jemandem zusammenarbeiten, der bereits Erfahrung hat, um von vorhandenen Strukturen lernen zu können. Der dritte Tipp ist, die Aktivitäten innerhalb der Open Science Community zu verfolgen. Man muss nicht sofort aktiv teilnehmen, aber es ist hilfreich, beispielsweise in Slack-Kanälen präsent zu sein und zu beobachten, welche Initiativen laufen. Twitter ist ebenfalls nützlich, um sich über aktuelle Projekte zu informieren. So erhält man einen Überblick über die Möglichkeiten und kann sich gegebenenfalls gezielt engagieren.

Welche Initiativen zur Förderung von Open Science gibt es speziell in der BWL?

Susanne Adler: Die BWL stellt in diesem Kontext eine Herausforderung dar. Meine Erfahrungen liegen primär im Bereich der Psychologie und der Metaforschung, insbesondere bezüglich der Fragen zu Replizierbarkeit und Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen. Eine bemerkenswerte Initiative ist die von Nature gestartete Kampagne zur Reproduzierbarkeit ihrer Artikel. Im Bereich der BWL und Konsumentenforschung ist besonders das Institute for Replication zu nennen, das von Abel Brodeur ins Leben gerufen wurde und für seine „Replication Games“ bekannt ist. Diese Initiative bietet auch für die BWL und Konsumentenforschung interessante Anknüpfungspunkte, sowohl inhaltlich als auch methodisch. Ich bin aktuell an einer Multilab-Replikationsstudie zur Construal Level Theory beteiligt, bei der ich die Übersetzung des deutschen Fragebogens verantwortet habe. Diese Initiative, koordiniert von einem schwedischen Forscherteam, begeistert mich besonders wegen des bedeutenden Aufwands und der langen Dauer solcher Projekte. Das Projekt läuft bereits seit mehr als drei Jahren und hat eine Publikationszusage von Advances in Methods and Practices in Psychological Science erhalten. Diese Erfahrung motiviert mich, in der Zukunft ähnliche Studien in der Konsumentenforschung anzustoßen, beispielsweise bei Themen wie dem Attraktionseffekt, der von der Methodik stark beeinflusst wird. Multilab-Studien bieten die Möglichkeit, Effekte breiter zu untersuchen, indem viele Institutionen jeweils einen Teil beitragen, statt dass eine einzelne Institution eine einzelne umfangreiche experimentelle Arbeit leisten muss.

Ein umfangreiches Teamprojekt also.

Susanne Adler: Ja, es ist besonders aufschlussreich, wenn man die Varianz der Effektgrößen betrachtet. Wenn ähnliche Effektgrößen über verschiedene Labore hinweg beobachtet werden, deutet das auf einen gut generalisierbaren Effekt hin. Führt man die Studie jedoch in, sagen wir, 100 Laboren durch und die Effektgrößen variieren von negativ über mittel bis zu sehr groß, wird klar, dass der Effekt einer erheblichen Variation unterliegt.

Angesichts Ihrer Beobachtung, dass in der BWL bisher keine große Community für Open Science existiert, wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung dieses Bereichs ein, insbesondere im Kontext einer möglichen interdisziplinären Gemeinschaft aus Psychologie und BWL?

Susanne Adler: Ich bin optimistisch, dass das Interesse am Thema Open Science in der BWL wachsen wird, besonders bei den Nachwuchswissenschaftler:innen. Die Resonanz in meinen Gesprächen ist durchweg positiv. Die Herausforderung, dass gut durchdachte Forschungsprojekte oft nicht die erhofften Ergebnisse liefern und somit schwer veröffentlichbar sind, ist ein weitverbreitetes Problem. Dies führt besonders bei jüngeren Forschenden zu Frustration, da ihre Karriereentwicklung stark von der Anzahl und Qualität ihrer Publikationen abhängt. Zu diesen Herausforderungen als Junior Researcher kommt hinzu, dass eventuell die Mittel für aufwendige Datenerhebungen fehlen. Es besteht allerdings die Möglichkeit, spannende Projekte durch die Analyse vorhandener Daten umzusetzen. Man könnte beispielsweise Fragestellungen rund um Bearbeitungszeiten oder Tageszeiten explorieren; also Themen, die häufig in Datensätzen vorhanden sind aber kaum genutzt werden. Es offenbart sich allerdings wieder das Problem, dass Datensätze nicht immer zugänglich sind, was ein Potential ungenutzt lässt.

Wie integrieren Sie Themen wie Publikationsverzerrung und Forschungsfehler in Ihre Lehre und fördern Sie bei Ihren Studierenden die Anwendung dieser Konzepte in ihren Abschlussarbeiten?

Susanne Adler: Im Rahmen von Seminaren zur Anwendung von Forschungsmethoden integriere ich gern Informationen zu Themen wie Publikationsverzerrung (Publication Bias) und verschiedenen Fehlern in der Forschung. Die Studierenden erhalten damit einen Einblick in diese wichtige Thematik. Ich ermutige sie auch, diese Prinzipien in ihren Masterarbeiten anzuwenden, obwohl bisher noch niemand dieses Angebot angenommen hat. Ich stelle die Möglichkeiten zur Präregistrierung vor, betone jedoch, dass sie freiwillig istund es liegt an ihnen, zu entscheiden, ob sie diese in ihren eigenen Arbeiten umsetzen möchten. Unabhängig davon ist es erforderlich, dass die Studierenden alle gesammelten Daten bei der Abgabe ihrer Abschlussarbeiten vorlegen.

Wie können wir Ihrer Meinung nach mehr Forschende aus der Betriebswirtschaft für Open Science gewinnen?

Susanne Adler: Um mehr Forschende für Open Science zu begeistern, sehe ich zwei Ansatzpunkte. Einerseits die Überzeugung, dass Transparenz und das offene Teilen von Ergebnissen essenziell für die Wissenschaft sind. Diese allgemeinen Vorteile sind leicht nachvollziehbar. Andererseits erfordert die Umsetzung von Open Science zunächst einen Mehraufwand, beispielsweise die detaillierte Planung von Datenauswertungen vor der Erhebung oder das Vorab-Schreiben von Analysecodes. Hier ist es effektiv, auf persönliche Vorteile zu verweisen. Ein praktisches Argument ist die alltägliche Erfahrung: Viele Forschende kennen das Problem, sich nach einigen Monaten nicht mehr in ihren eigenen Ordnern zurechtzufinden oder enttäuscht zu sein, wenn Projekte nicht die erwarteten Ergebnisse liefern. Besonders für Nachwuchswissenschaftler:innen ist der Hinweis wertvoll, dass selbst aufwendige Projekte, die längere Zeit bis zur Publikation benötigen, durch Preprints sichtbar gemacht werden können. Diese lassen sich bereits in Bewerbungen nutzen und könnten so die wissenschaftliche Karriere und Sichtbarkeit fördern.

Vielen Dank!

Dieses Interview wurde am 5. März 2024 geführt von Dr. Doreen Siegfried.

Über Susanne Adler:

Susanne Adler ist seit September 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Marketing an der LMU München. Zuvor war sie tätig als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Marketing der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. Ihren Master hat Susanne Adler zum Thema Konsumentenpsychologie und Marktforschung an der Hochschule Harz in Wernigerode abgelegt.

Susanne Adler forscht an der Schnittstelle zwischen Konsumentenforschung und Metaforschung. Daher umfasst ihre Forschung zwei Themen. Erstens konzentriert sie sich auf die Entscheidungsfindung von Verbraucher:innen in komplexen Umgebungen mit verschiedenen Kontextfaktoren wie beispielsweise sensorischen Reizen. Während einzelne Forschungsergebnisse zwar wertvolle Einblicke in den Entscheidungsprozess liefern, sind es oft übergeordnete Strukturen, welche die Ausrichtung und Entwicklung eines wissenschaftlichen Feldes bestimmen.

Ihr zweites Forschungsthema umfasst daher eine Metaperspektive, die auf ein integrativeres Verständnis und eine bessere Nutzung des vorhandenen Wissens in der Konsumentenforschung abzielt. Sie setzt beispielsweise bibliometrische Methoden ein, um akademische Strukturen sowie latente Forschungsthemen zu identifizieren und beschäftigt sich mit der Zusammenfassung, Evaluation und Integration bestehenden Wissens. Im Zuge dieses Forschungsstranges beschäftigt sich Susanne Adler auch mit der Reproduzierbarkeit und Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen sowie mit Open Science.

Kontakt: https://www.som.lmu.de/imm/de/institut/kontaktseite/susanne-adler-1210c816.html

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/susanne-adler-46a69a212

ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0002-3211-6871

Open Science Framework: https://osf.io/e8qsb/

ResearchGate: https://www.researchgate.net/profile/Susanne-Adler




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