Transparenz fördert Effizienz von Forschungsabläufen
Dr. Wolfgang Benedikt Schmal über seine Open-Science-Erfahrungen
Foto: David Außerhofer
Die drei wesentlichen Learnings:
- Wenn man von Anfang an plant, Forschungsergebnisse und die dazugehörigen Daten zu veröffentlichen, kann dies zu einer strukturierteren und effizienteren Arbeitsweise beitragen. Dadurch entfällt oft die zeitaufwendige Nachbereitung von Daten und Code. Die Bereitschaft zur Offenlegung kann zudem eine gewisse Disziplin und Sorgfalt in der Forschung fördern, weil man sich bewusst ist, dass die Arbeit später für andere zugänglich und überprüfbar sein wird.
- Forschungsdaten und Skripte online zugänglich zu machen, hat den Vorteil, dass sie langfristig Interesse wecken und von anderen genutzt werden können. Gleichzeitig sind sie an einem sicheren und strukturierten Ort gespeichert, was besonders hilfreich ist, wenn man häufig die Institution wechselt. Solche Repositorien, wie GitHub für Codeskripte oder Zenodo für Daten und Begleitmaterialien, bieten eine verlässliche Möglichkeit, wichtige Dokumente dauerhaft zu speichern und zugänglich zu halten.
- Ein wichtiges Learning zur Wissenschaftskommunikation ist: Die eigenen Forschungsergebnisse präzise darzustellen und sich nicht zu Aussagen hinreißen zu lassen, die über die eigene Forschung hinausgehen. Rücksprache mit Journalist:innen und die Zusammenarbeit mit der Pressestelle können helfen, Missverständnisse zu vermeiden und die korrekte Wiedergabe sicherzustellen.
Wann sind Sie erstmals mit dem Thema Open Science in Kontakt gekommen? War das im Rahmen Ihrer Dissertation?
BS: Ja, das Thema wurde für mich mit der Dissertation so richtig relevant. Während des Bachelor- und Masterstudiums hatte ich wenige Berührungspunkte damit; Studieninhalte wurden vorwiegend über Lernplattformen wie Moodle vermittelt, und wir arbeiteten mit frei zugänglichen Daten von öffentlichen Institutionen. Open Science als eigenständiges Thema habe ich erst während meiner Promotion am Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) unter der Betreuung von Professor Justus Haucap kennengelernt. Er hat mich direkt zu Beginn meiner Promotionsphase für das Thema und dabei vor allem die Komplexität dieses Marktes begeistert. In meiner Dissertation habe u.a. ich die Auswirkungen der DEAL-Vereinbarungen zwischen deutschen Universitäten und großen wissenschaftlichen Verlagen auf die Wettbewerbsstrukturen und Marktmechanismen im akademischen Publikationswesen untersucht.
Gab es einen bestimmten Auslöser für Ihr Interesse?
BS: Es war in der Phase der Literaturrecherche für unser erstes gemeinsames Projekt, eine ökonometrische Evaluation der DEAL-Verträge und ihrer Auswirkungen auf die Marktprozesse: Da dachte ich mir schon: „Dieser Markt ist so riesig, so relevant für Wissenschaft und Fortschritt und zugleich so vertrackt, weil es oft keinen Preismechanismus für die Forschenden gibt und eine komplizierte Dreiecksbeziehung aus Verlagen, Bibliotheken und eben den Forschenden.“ Das fasziniert mich seitdem.
Sie haben sich mit dem DEAL-Abkommen und der Open Access-Transformation beschäftigt. Nur weil man sich theoretisch mit einem Phänomen auseinandersetzt, bedeutet das aber ja nicht zwangsläufig, dass man es auch selbst in der Praxis anwendet, oder?
BS: Das stimmt natürlich. Ich praktiziere es natürlich, aber meine eigene „Open Science“-Praxis ist nicht zwingend kausal mit meiner Forschung verknüpft. Einerseits habe ich mich theoretisch mit dem Thema beschäftigt und dabei viel über Open Access gelernt, das ja nur ein Teil von Open Science ist. Andererseits kamen Aspekte wie Replizierbarkeit in der Forschung eher in anderen Kontexten auf, etwa in Doktorandenkursen oder im Austausch mit erfahreneren Forschenden. Dort wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass empirische Forschung replizierbar ist, dass Codes geteilt werden, die funktionieren und nachvollziehbar sind, anstatt unzählige Versuche zu verstecken. Insofern sind beide Bereiche für mich unabhängig voneinander gewachsen.
Welche Vorteile erleben Sie durch die die Anwendung von Open-Science-Praktiken?
BS: Ehrlich gesagt habe ich ja kein kontrafaktisches Szenario, um zu wissen, was ohne diese Praktiken anders wäre. Was mir auf jeden Fall hilft, ist die Disziplinierung durch die Offenlegung: Wenn man von Anfang an weiß, dass man empirische Projektdaten und Codes am Ende veröffentlichen wird, arbeitet man strukturierter und effizienter. Es spart viel Zeit und Aufwand, weil man die Daten und den Code nicht erst nachträglich aufbereiten muss. Das führt zu einer gründlicheren Arbeitsweise, auch wenn das andere Vorgehen nicht unbedingt schlechter oder fehlerhaft ist. Aber man arbeitet bewusster, wenn man weiß, dass die Arbeit am Ende offen zugänglich sein wird.
Wenn Sie im Open Access veröffentlichen, welchen Weg wählen Sie dabei?
BS: Meistens zunächst den grünen Weg, da ich meine Papiere zunächst als Working Papers zirkuliere. Diese werden auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht, häufig über EconStor oder institutionelle Repositorien. Zudem nutze ich auch ArXiv oder SSRN, abhängig von den meinen Koautorinnen und -autoren. Aber eigentlich beginnt jede Publikation mit einem Working oder Discussion Paper.
Wie sieht es mit Ihren Publikationen in Verlagen aus?
BS: Die VWL ist stark hierarchisiert und ranking-orientiert, was finale Publikationen betrifft. Nicht selten hört man von „Einreichungsbäumen“, in denen man festlegt, bei welchem (Top)Journal man zuerst einreicht und wo man im Falle einer Ablehnung hingeht. Wurde ein Paper angenommen, entscheide ich mich in der Regel für die Standardoption des Verlages. Bei Verlagen wie Springer und Wiley erfolgt die Veröffentlichung oft über Gold Open Access durch die DEAL-Verträge. Bei De Gruyter hatte ich auch schon die Möglichkeit, goldenen Open Access nutzen, weil es einen Rahmenvertrag mit der Heinrich-Heine-Universität gab. Aber einen Standardweg, der ex ante feststeht, den habe ich bisher nicht. Da ich prinzipiell alle Arbeiten zunächst in Repositorien ablege, kann man vielleicht davon sprechen, dass der grüne Weg ein Standard für mich ist, da die Working Papers ohnehin online verfügbar sind. Aber das schließt Open Access für die Journalpublikation ja nicht aus. Allerdings können die Kosten für Gold Open Access ohne Rahmenabkommen hoch sein und als Nachwuchsforscher ist es manchmal schwierig, ausreichend Finanzierung zu finden, auch in Deutschland, wo die Universitäten im internationalen Vergleich ja sehr gut aufgestellt sind.
Wie handhaben Sie die Veröffentlichung Ihrer Forschungsdaten und Skripte? Angesichts der Bedeutung der Replikation in der Wissenschaft, die Sie bereits erwähnt haben, würde mich interessieren, ob und wie Sie diese Ressourcen mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft teilen.
BS: Für mich gehört das unbedingt dazu, mittlerweile mache ich das immer, wenn ich mit Daten arbeite, auch ohne explizite Anforderung einer Zeitschrift. Die Codeskripte stelle ich in der Regel auf GitHub zur Verfügung. Während der Arbeit sind sie meist privat, und sobald ein Working Paper oder eine Verlagspublikation vorliegt, mache ich sie öffentlich. Bei den Daten nutze ich häufig Verlagsrepositorien, wenn es die Möglichkeit gibt, die Daten dort hochzuladen, ganz aktuell zum Beispiel openICPSR, betrieben von einem Konsortium US-amerikanischer Universitäten und Fachgesellschaften. Gibt es keine expliziten Vorgaben arbeite ich gerne mit Zenodo, einem Projekt vom CERN. Dort lade ich die Daten, Code-Dateien und meistens eine Handreichung hoch, die durch den Replikationsprozess führt. Das Praktische daran ist, dass die Daten und Papiere online verfügbar sind und so weiterhin Interesse wecken können. Gleichzeitig sind sie an einem sicheren Ort gespeichert, was besonders hilfreich ist, wenn man häufiger die Universität oder einfach nur den Computer wechselt. Auf diese Weise bleiben alle wichtigen Daten und Dokumente in ihrer finalen Version gut strukturiert und sicher aufbewahrt, beispielsweise auf einem Server oder in einem Repositorium.
Spielt Open Peer Review für Sie eine Rolle?
BS: Ja, auf jeden Fall, da immer mehr Journals Open Peer Reviews veröffentlichen. Ich nutze ehrlicherweise keine spezielle Plattform dafür, aber wenn meine Reviews veröffentlicht werden sollen, stimme ich dem gern zu.
Werden diese Reviews namentlich oder anonym veröffentlicht?
BS: Das variiert, beides kommt vor.
Was bevorzugen Sie?
BS: Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Wird der eigene Name genannt, hat man „Skin in the Game“ und steht mit seinem Ruf für die Qualität und auch die Tonalität des Reviews ein, was unfaire Beurteilungen reduziert. Allerdings gibt es auch Situationen, in denen Anonymität sinnvoll ist, um ehrliche, kritische Rückmeldungen zu ermöglichen.
Kommt es vor, dass nach einem Review eine Zusammenarbeit entsteht?
BS: Bisher nicht, da ich noch nicht lange dabei bin und Open Review noch nicht weit verbreitet ist. Ich könnte mir aber vorstellen, dass solche Kontakte entstehen, da man manchmal interessante Ideen entwickelt, die zu weiteren Kooperationen führen könnten, die aber weit über das begutachtete Papier hinausgehen. Das dann als Kriterium für eine Annahme-Empfehlung in den Review zu schreiben, wäre unfair. Aber eine Kooperation drängt sich da ja geradezu auf.
Inwieweit spielt Wissenschaftskommunikation für Sie eine Rolle? Ich habe auf Ihrer Webseite gesehen, dass einige Ihrer Paper, auch solche in Zusammenarbeit mit anderen, intensiv aufgegriffen wurden. Bemühen Sie sich darum, Ihre Forschung für ein breiteres Publikum aufzubereiten?
BS: Ja, die Kommunikation meiner Forschungsergebnisse über die Grenzen der Disziplin hinaus und das Hineintragen in die Gesellschaft, das spielt für mich eine wichtige Rolle. Es war spannend zu sehen, wie das Paper zu den Produktivitätseffekten von COVID-19 weltweit in den Medien aufgegriffen wurde. Dabei habe ich lernen können, wie unterschiedlich Journalistinnen und Journalisten wissenschaftliche Inhalte wahrnehmen und worauf sie Wert legen. Es ist aus meiner Sicht ganz entscheidend zu verstehen, dass man als Wissenschaftler sehr präzise und vorsichtig formulieren muss, während die Medien oft zugespitzte Aussagen bevorzugen. Ziel ist es, die wissenschaftlichen Erkenntnisse sowohl in der Fachwelt als auch für ein breiteres Publikum verständlich und relevant zu machen, ohne dabei die wissenschaftliche Genauigkeit zu verlieren.
Welche Tipps würden Sie Forschenden geben, die noch wenig Erfahrung mit Medienarbeit haben?
BS: Wichtig ist, sich nicht auf die Erörterung konkreter Einzelfälle festnageln zu lassen und vorsichtig mit politischen Empfehlungen zu sein. Man sollte bei dem bleiben, was die eigene Forschung tatsächlich verlässlich und robust belegt, und sich nicht zu Aussagen hinreißen lassen, die über die eigenen Ergebnisse hinausgehen. Es kann hilfreich sein, vor der Veröffentlichung Rücksprache mit den Gesprächspartnern zu halten, um sicherzustellen, dass die eigenen Aussagen so wiedergegeben werden, wie man sie gemeint hat. Auch die Zusammenarbeit mit der universitären Pressestelle kann nützlich sein, denn dort sitzen ja die Profis. Allerdings war mein Eindruck in der Vergangenheit schon, dass Pressevertreter gern den direkten Weg zu den Forschenden wählen. Da die eigene E-Mail-Adresse stets auf dem Titelblatt des Papers steht und weitere Kontaktmöglichkeiten leicht im Netz zu finden sind, war es für sie oft einfacher, meine Koautoren oder mich direkt anzusprechen als den Weg über die Pressestelle zu gehen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Wirtschaftsforschung im Hinblick auf Open Science?
BS: Open Science ist ohne Zweifel auf dem Vormarsch und wird sich weiter etablieren, insbesondere in Form von offenem Code und offenen Daten. Und das ist auch gut so! Bei Daten muss man jedoch berücksichtigen, dass in der VWL oft und gern mit vertraulichen Unternehmensdaten gearbeitet wird, die nicht immer veröffentlicht werden können, sei es aus Gründen des geistigen Eigentums oder weil Unternehmenspartner das nicht möchten. Denn diese Daten haben oft eine besondere Detailtiefe oder sind schlicht noch unerforscht, was sie vielversprechend macht für hochkarätige Journalpublikationen. Die Teilbarkeit muss sich da in manchen Fällen hintanstellen. Häufig wird dann der Weg gewählt, die Daten verschlossen zu halten und nur die Ergebnisse zu veröffentlichen, um mögliche Konflikte zu vermeiden.
Aber generell wird sich Open Science weiter durchsetzen und etablieren. Man sieht bereits jetzt, dass die führenden Journals sehr strenge Anforderungen an Replikation und Datenveröffentlichung stellen. Diese Standards werden sich vermutlich schrittweise auch auf die gesamte Bandbreite der wissenschaftlichen Journals übertragen und dort nach und nach etablieren. Sind 1-Klick-Replikationen heute noch eher selten, werden sie in einigen Jahren wahrscheinlich nicht nur der Standard in der empirischen Wirtschaftsforschung sein, sondern eventuell auch bei empirischen Abschlussarbeiten üblich werden.
Vielen Dank!
Das Interview wurde am 3. September 2024 geführt von Dr. Doreen Siegfried.
Dr. Wolfgang Benedikt Schmal ist als Postdoktorand am Fachgebiet Wirtschaftstheorie der Technischen Universität Ilmenau tätig. Er forscht dort im Bereich der Wettbewerbsökonomie und befasst sich mit Fragestellungen zur Marktregulierung und der ökonomischen Analyse von Marktstrukturen, insbesondere im akademischen Publikationsmarkt und bei Unternehmenskartellen. Seine Arbeit umfasst sowohl theoretische als auch empirische Untersuchungen, die teilweise interdisziplinär mit der Informationswissenschaft verknüpft sind.
Er hat einen Masterabschluss in Quantitative Economics von der University College Dublin und einen Bachelor in Volkswirtschaftslehre von der Freien Universität Berlin.
Persönliche Website: https://sites.google.com/view/wbschmal
ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0003-2400-2468
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/wolfgang-benedikt-schmal/
ResearchGate: https://www.researchgate.net/profile/W-Benedikt-Schmal
GitHub: https://github.com/schmalwb