Wir Profs müssen die Role Models für Open Science sein

Prof. Dr. Uwe Cantner über seine Open-Science-Vision

Foto von Prof. Dr. Uwe Cantner

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Open Science braucht Infrastrukturen mit exzellenter Usability und vernünftige Anreizsysteme.
  • Eine nachhaltige Open-Science-Transformation erreichen wir nur in der europäischen Dimension.
  • Für eine Open-Science-Transformation in den Wirtschaftswissenschaften müssen Professor*innen zu Open-Science-Role-Models werden.


Wie schätzen Sie die zukünftige Bedeutung von Open Science auf Basis Ihrer Erfahrungen ein?

UC: Open Science, ob als Open Access, Open Data oder Reproducible Research ist essentiell für wissenschaftliche Qualität und Weiterentwicklung. Gerade mit Open Access beobachte ich ein zunehmendes Unwohlsein unter meinen Peers bezogen auf das immer noch sehr traditionelle Publikationssystem. Ich habe das Gefühl, dass sich viele Wissenschaftler*innen die Vormachtstellung der Verlage nicht mehr gefallen lassen wollen. Wir Forschende leisten insbesondere bei Fachzeitschriften einen Großteil der Arbeit im Publikationsprozess. Die gesamte Qualitätssicherung läuft im Wesentlichen ehrenamtlich. Dass Gutachterinnen und Gutachter vom Verlag für das Peer Review bezahlt werden, das ist eine große Ausnahme. Dabei ist so ein Review mit erheblichem Aufwand verbunden. Welche Arbeit die Verlage in die Publikation investieren, ist den meisten von uns schleierhaft. Was aber dagegen sehr deutlich ist, sind die Rechnungen, die ins Haus flattern, damit wir die Aufsätze unserer eigenen Leute wieder lesen können. Es klingt absurd. Wir müssen also alle zusammen einen Strukturwandel bewirken, denn für gute Wissenschaft und Innovation ist Open Science einfach essentiell.


Wo sehen Sie konkrete Hebel, um diese Transformation hin zu Open Science zu bewirken?

UC: Zunächst einmal brauchen wir gute Infrastrukturen mit hoher Usability, also einfach zu handhabende Landeplätze für unseren Forschungsoutput. Seien es Publikationen, Daten oder Codes. Und dann müssen wir diese neue Infrastruktur attraktiv machen – attraktiver als das bestehende System. Das benötigt Zeit. Und Anreize bzw. Anreizsysteme spielen natürlich eine große Rolle. Momentan sind wir alle im traditionellen System eingeschlossen, denn hier gibt es die Netzwerkeffekte. Damit alle gleichzeitig aufstehen und ins moderne Open-Science-System hinüberwandern, brauchen wir anfänglich ein paar geschickte Eingriffe. Dies könnten beispielsweise geänderte Promotionsordnungen oder neue Kriterien bei Berufungen sein. Hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Ich sehe hier eine große Notwendigkeit für einen Diskurs, den es leider in den Fachgesellschaften nur vereinzelt gibt. Sind die Anfangshürden genommen, dann wird sich eine neue, Open Science basierte Infrastruktur auch durchsetzen können.


Mit wem muss dieser Diskurs sinnvollerweise geführt werden?

UC: Ich bin ein großer Befürworter der European Open Science. Niemandem nützt eine deutsche Silo-Lösung. Wir müssen hier mindestens europaweit denken. Wenn wir einmal schauen, wo die publikationsstarken Hochschulen sind, nämlich in China und den USA, ist Europa eigentlich die unterste Ebene. Eine nachhaltige Open-Science-Transformation erreichen wir nur in der europäischen Dimension. Daher ist der Weg von European Open Science Cloud – EOSC – genau richtig. Sicherlich, die Wissenschaft hört auch an den europäischen Grenzen nicht auf und so werden wir dann zunehmend, Schritt-für Schritt auch weltweit denken müssen.


Wenn wir mal von der Wissenschaftspolitik zurückgehen auf die Ebene der persönlichen Verantwortung: Wo sehen Sie hier konkrete Hebel?

UC: Gucken wir mal auf die Hochschulstatistik: Es gibt an den deutschen Hochschulen ungefähr 48.000 Professuren. Demgegenüber stehen gut 193.000 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die zum einen noch am Anfang ihrer Karriereleiter stehen und zum anderen Beratung und Supervision durch ihre Betreuer*innen anfragen und benötigen. Und genau hier können und sollten wir als Professor*innen ansetzen. Mit gutem Beispiel sollten wir vorangehen und unsere Doktorand*innen dazu anregen, Schritt für Schritt mit uns ins moderne Open-Science-System hinüberzuwandern. Wir müssen die Role Models für Open Science und ein qualitativ hochwertiges wissenschaftliches Arbeiten sein – jede und jeder für die eigene Disziplin und wir alle zusammen für die Wissenschaft.

Das Interview wurde geführt von Dr. Doreen Siegfried.

Das Interview wurde geführt am 08.11.2020.


Über Prof. Dr. Uwe Cantner

Professor Dr. Uwe Cantner ist seit 2000 Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insb. Mikroökonomik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und seit 2010 Professor of Economics an der University of Southern Denmark, Odense. Die Funktionen als Vizepräsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena und als Direktor der Jenaer Graduierten-Akademie nimmt er seit 2014 wahr. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation bei der deutschen Bundesregierung. Er forscht zu Themen aus der Innovationsökonomik, aus der Evolutorischen Ökonomik sowie aus der Produktivitäts- und Effizienzmessung.

Kontakt: https://www.microtheory.uni-jena.de/cantner

ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0002-2067-493X

Twitter: https://twitter.com/uwe_cantner




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