Wissenschaft neu denken: Die Herausforderungen und Chancen der Open-Access-Transformation

Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus M. Schmidt über seine Open-Science-Erfahrungen

Foto: © Laura Schnitzer

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Die Open-Access-Transformation in der Wirtschaftsforschung ist noch nicht abgeschlossen. Es braucht verstärkte Bemühungen, um das Oligopol großer Verlagskonzerne zu durchbrechen und neue Journals mit hoher Reputation zu etablieren. Fachgesellschaften und namhafte Herausgeber:innen können dabei helfen, die Attraktivität neuer Zeitschriften zu steigern.
  • Der Aufbau neuer Journals erfordert eine sorgfältige und strategische Planung. Dies schließt juristische Absicherung, klare vertragliche Regelungen und langfristige Unterstützung durch Netzwerke ein, um rechtlichen und finanziellen Risiken zu begegnen.
  • Langfristige Finanzierung neuer Open-Access-Journals, etwa durch Fachgesellschaften, Bibliothekskonsortien oder staatliche Unterstützung, bleibt essenziell, um die Transformation zu sichern.

Ich beginne vielleicht mit einer provokanten Frage: Wenn wir annehmen, dass die bedeutenden wirtschaftswissenschaftlichen Journals überwiegend bei großen Verlagskonzernen wie Elsevier, Springer Nature oder Wiley erscheinen, mit denen es bereits DEAL-Vereinbarungen gibt – ist das Thema Open Access damit nicht schon weitgehend erledigt? Gibt es aus Ihrer Sicht noch Handlungsbedarf für weitere Transformationen?

KS: Ich denke, dass wir noch längst nicht am Ziel sind. Zunächst einmal werden nicht alle wichtigen ökonomischen Journals von den großen Verlagen herausgegeben. Tatsächlich wurden viele der führenden Journals von Fachgesellschaften oder Universitäten gegründet. Beispielsweise gibt die American Economic Association mehrere renommierte Zeitschriften heraus, ebenso wie die Royal Economic Society. Universitäten wie Harvard mit dem Quarterly Journal of Economics oder die University of Chicago mit dem Journal of Political Economy spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle. Diese Publikationen sind unabhängig von den großen Verlagen und bieten ein erfolgreiches Modell, das – auch wenn es nicht Open Access ist – moderate Preise und somit einen breiten Zugang ermöglicht.

Der zweite Punkt ist, dass es uns nicht gelungen ist, das Oligopol der Großverlage aufzubrechen. Sie dominieren nach wie vor den Zeitschriftenmarkt. Unsere Bibliotheken zahlen weiterhin enorme Summen an diese drei Verlage, die sehr hohe Umsatzrenditen erwirtschaften, jedoch oft einen vergleichsweise schlechten Service bieten. Wenn wir dieses Oligopol aufbrechen wollen, brauchen wir mehr Wettbewerb. Das bedeutet, wir müssen neue Journals gründen und fördern, um Alternativen zu den etablierten Journalen zu schaffen. Ein zentraler Aspekt dabei ist, dass die großen Verlage ihre Zeitschriften oft als Bündel verkaufen. Bibliotheken können selten gezielt auf einzelne Zeitschriften verzichten, selbst wenn diese für sie wenig Mehrwert bieten. Bibliotheken und das DEAL-Konsortium sollten darauf bestehen, dass sie einzelne Zeitschriften abwählen und dadurch ihre Kosten reduzieren können, um Ressourcen für die Finanzierung neuer Zeitschriften freizusetzen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wenn wir mehr Vielfalt und Bibliodiversität im Publikationsmarkt fördern wollen, wie kann ein neues Journal, das heute gegründet wird, genügend Reputation aufbauen? Schließlich publizieren viele Doktorand:innen dort, wo ihre betreuenden Personen es empfehlen – und das sind selten neue, wenig etablierte Journals. Wie sehen Sie die praktische Umsetzung einer solchen Vielfalt?

KS: Das ist in der Tat ein sehr mühsamer Prozess, gar keine Frage. Lassen Sie mich ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung geben. Ende der 1990er Jahre war ich einer der Herausgeber der European Economic Review, als diese noch die Vereinszeitschrift der European Economic Association war. Die Rechte an der European Economic Review gehörten Elsevier. Elsevier hatte den Preis, den die Bibliotheken für die Zeitschrift zahlen mussten, drastisch erhöht, so dass der Vorstand der EEA zusammen mit den Herausgebern der EER beschlossen hatte, sich von Elsevier zu trennen und eine neue, eigene Zeitschrift gründen, das Journal of the European Economic Association. Das war ein harter Kampf. Es hat zehn Jahre gedauert, das neue Journal zu etablieren. Besonders schwer war es, die Bibliotheken – insbesondere in den USA – davon zu überzeugen, dieses neue Journal in ihr Portfolio aufzunehmen. Wenn ein Journal an den amerikanischen Universitäten nicht verfügbar ist, ist es sehr schwer, potentielle Autor:innen zu überzeugen, ihre Papers in diesem Journal zu veröffentlichen. Inzwischen hat das Journal of the European Economic Association eine hervorragende Reputation und gilt als eines der drei besten Journals in Europa, aber das war ein langer Weg.

Heute erleichtert die Möglichkeit von Open Access diesen Prozess. Wenn der Zugang zu einem Journal weltweit kostenlos möglich ist, müssen sich die Autor:innen keine Sorgen machen, ob ihre Publikationen in Bibliotheken zugänglich sind. Dennoch bleibt der Aufbau von Reputation ein zentrales Problem. Eine Möglichkeit ist, dass Fachgesellschaften neue Journals gründen oder bestehende aufwerten und dafür namhafte Expert:innen für das Editorial Board gewinnen. Das hat die American Economic Association mit den „American Economic Journals“ sehr erfolgreich gemacht. Wenn Top-Leute als Herausgeber:innen dabei sind, verleiht dies einem neuen Journal Glaubwürdigkeit und Ansehen. Eine weitere, jedoch schwierige Möglichkeit ist, dass sich die Herausgeber etablierter Journals geschlossen von großen Verlagen wie Elsevier trennen und ein neues Open-Access-Journal ins Leben rufen. Auch wenn es Zeit braucht, den Impact-Faktor des neuen Journals aufzubauen, könnte die Fachgemeinschaft aufgrund der bekannten Herausgeber:innen und der veröffentlichten Beiträge das neue Journal schnell anerkennen und unterstützen.

Zwei Anschlussfragen drängen sich auf: Was wären Ihrer Meinung nach nachhaltige Finanzierungsmodelle für neue Open-Access-Journals in der Volkswirtschaftslehre? Falls, wie von Ihnen skizziert, Herausgebende von einem Verlag wechseln und ein neues Journal gründen – wie kann langfristig sichergestellt werden, dass es auch in zehn Jahren noch existiert?

KS: Es gibt verschiedene Finanzierungsmodelle. Ein Modell ist „Sponsored Open Access“, bei dem eine Fachgesellschaft das Journal durch Mitgliedsbeiträge finanziert und somit seine langfristige Existenz sicherstellt. Etablierte Vereinszeitschriften wie die American Economic Review oder das Economic Journal könnten so inOpen Access überführt werden. Mit dem Wegfall der Printausgaben und der geringeren Bedeutung der klassischen Journalvermarktung bei Open Access Journals sinken die Kosten für die Veröffentlichung erheblich. Dadurch wird der finanzielle Aufwand für Fachgesellschaften überschaubar, und einige sind schon in diesem Bereich aktiv. So wird der Verein für Socialpolitik ab Januar 2025 die German Economic Review und die Perspektiven der Wirtschaftspolitik in Sponsored Open Access überführen. Das Sponsoring kann auch durch eine staatliche Institution wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Max Planck Gesellschaft erfolgen, oder durch eine Universität oder ein Forschungsinstitut.

Eine andere wichtige Frage betrifft die Kostenverteilung. Es gibt die Option eines Diamant-Open-Access-Modells, bei dem weder Autor:innen noch Leser:innen bezahlen, sondern die Finanzierung durch den Staat, Bibliothekskonsortien oder Fachgesellschaften erfolgt. Alternativ könnten die Kosten auch von den Autor:innen getragen werden, entweder in Form von Article Processing Charges für die Veröffentlichung oder als Submission Fee für das Peer-Review-Verfahren. Für die Submission Fees spricht, dass der wesentliche Mehrwert eines Journals heute darin besteht, dass es Publikationen bewertet und ihnen durch die Aufnahme in das Journal ein Qualitätssiegel gibt. Diese externe Validierung ist der entscheidende Grund, warum Autor:innen ihre Arbeiten nicht einfach selbst online stellen, sondern in angesehenen Fachzeitschriften publizieren wollen.  

Das heißt, die Autor:innen sollen für das Peer-Review-Verfahren zahlen?

KS: Ja. Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, die Finanzierung der Journals über Submission Fees zu regeln.

Aber das Geld würde nicht an die Peer Reviewer fließen, sondern an die Fachgesellschaft oder eine andere herausgebende Institution, die es beispielsweise zur Deckung von Betriebskosten wie Hostinggebühren und anderen notwendigen Ausgaben benötigt?

KS: Korrekt. Die Kosten müssen ja von irgendjemandem getragen werden, um den Betrieb und die Nachhaltigkeit des Journals sicherzustellen. Ich finde es wichtig, dass wir offen über diese Finanzierungsmodelle sprechen und nicht jede Diskussion über finanzielle Aspekte mit dem Argument abtun, alles müsse umsonst sein. Die Begutachtung wissenschaftlicher Arbeiten erfordert einen erheblichen Zeitaufwand. Darum könnte eine gewisse Kompensation auch für die Peer Reviewer sinnvoll sein. Einige Journals bieten bereits kleine Anreize, etwa Honorare in Höhe von 100 Dollar, um die rechtzeitige Begutachtung sicherzustellen und Verzögerungen zu vermeiden. Solche Anreize können einen Unterschied machen. Wir sollten das ohne ideologische Scheuklappen diskutieren.

Halten Sie finanzielle Anreize in der Größenordnung von 100 Dollar für angemessen, angesichts der Tatsache, dass Reviewer ihre Zeit auch anderweitig nutzen könnten, etwa für die Arbeit an eigenen Publikationen?

KS: Die 100 Dollar stehen sicherlich in keinem Verhältnis zu dem Arbeitsaufwand, den ein umfassendes Peer-Review erfordert. Dennoch funktioniert das System, weil die meisten Anreize für Reviewer nicht finanzieller Natur sind. Viele engagieren sich freiwillig, weil sie dadurch frühzeitig Einblick in die neuesten Entwicklungen ihres Fachgebiets erhalten. Zudem möchten viele Gutachter:innen bei Herausgebern positiv auffallen, was langfristig der eigenen Karriere zugutekommt. Der finanzielle Anreiz von 100 Dollar kann dazu beitragen, dass Gutachten priorisiert werden, etwa wenn es darum geht, einen Referee Report termingerecht abzuschließen. Letztlich ist es eine empirische Frage, welches Entlohnungsmodell am besten funktioniert. Aber insgesamt ist das eher ein Nebenaspekt im Vergleich zu den grundsätzlichen Herausforderungen des Publikationssystems.

Wie können Nachwuchsforschende, die unter dem Druck stehen, in renommierten Journals zu publizieren, dazu motiviert werden, ihre Arbeiten auch in noch unbekannten neuen Journals zu veröffentlichen?

KS: Das ist in der Tat ein Problem. Für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler spielt die Reputation eines Journals eine entscheidende Rolle, nicht nur der Impact-Faktor, sondern auch das allgemeine Ansehen. Dies wird sich nicht kurzfristig ändern lassen. Um die Reputation neuer Journals zu stärken, könnten aber etablierte Forschende gezielt dort publizieren, um ein Signal zu setzen. Wenn angesehene Wissenschaftler:innen ihre Arbeiten in neuen Journals veröffentlichen, ermutigt das andere , nachzuziehen. Beim Journal of the European Economic Association hat das gut funktioniert.

Sie haben bereits erwähnt, dass eine Transformation viel Geduld erfordert und oft lange dauert. Was würden Sie Editor:innen raten, die darüber nachdenken, ihre Zeitschrift zu transformieren?

KS: Das ist kein Vorhaben, das man überstürzt angehen sollte. Ich hatte das Beispiel der European Economic Review ja schon erwähnt. Dort hatten wir es mit erheblichen Herausforderungen zu tun, darunter rechtliche Auseinandersetzungen mit Elsevier, die uns mit einer Klage drohten und für zwei Jahre keine Vergütung für die Editoren gezahlt haben. Es war eine schwierige und belastende Zeit, vor allem, weil wir anfangs naiv an die Sache herangegangen sind. Wir hatten als Herausgeber nur Verträge mit Elsevier, aber nicht mit der European Economic Association. In diesen Verträgen stand, dass wir verpflichtet sind, im Interesse des Journals zu handeln. Elsevier argumentierte, dass unser kollektiver Austritt dem Ansehen des Journals geschadet habe und forderte einen sechsstelligen Schadensersatz pro Person. Letztlich kam es nicht zu einem Prozess, doch die rechtliche Unsicherheit hat mich zwei Jahre lang belastet. Elsevier agiert rein profitorientiert. Darum ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein, juristischen Beistand zu konsultieren und sich über mögliche Konsequenzen Klarheit zu verschaffen, bevor man solche Schritte unternimmt. Dann ist es aber durchaus machbar.

Welche Veränderungen haben Sie in den letzten Jahren im Zuge der Open-Access-Transformation in der VWL beobachtet? Gibt es spürbare Effekte?

KS: Ganz sicher. Man kann feststellen, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen ihre Artikel im Open Access veröffentlichen, auch wenn sie dafür zusätzliche Gebühren zahlen müssen. Ich sehe diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen, weil die zusätzlichen Gebühren die Gewinne der Verlage weiter steigern und zulasten unserer Forschungsbudgets gehen. Gleichzeitig zeigt es aber, dass ein zunehmendes Bewusstsein für die Bedeutung des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Arbeiten entsteht. Das ist eine positive Tendenz. Was die Entwicklung der Journal-Landschaft betrifft, bieten mittlerweile viele Journals eine Open-Access-Option an, aber es gibt bislang nur wenige, die vollständig auf Open Access umgestellt haben. Es bleibt also noch viel zu tun.

Vielen Dank!

*Das Interview wurde am 10. Oktober 2024 geführt von Dr. Doreen Siegfried.

Über Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus M. Schmidt:

Klaus M. Schmidt ist Professor für Wirtschaftstheorie an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Er ist Mitglied und ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Sprecher des Sonderforschungsbereichs/Transregio 190 „Rationalität und Wettbewerb“. Darüber hinaus fungiert er als wissenschaftlicher Koordinator der Lindauer Nobelpreisträgertagungen in den Wirtschaftswissenschaften. Er ist zudem designierter Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik. In seiner Forschung befasst sich Schmidt mit Spieltheorie, Vertragstheorie und Verhaltensökonomik und ihren Anwendungen in der Industrieökonomik, der Klimaökonomik und anderen mikroökonomischen Anwendungsgebieten.  

Kontakt: https://sites.google.com/view/klaus-m-schmidt/

ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0002-5011-0828

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/klaus-m-schmidt/ ResearchGate: https://www.researchgate.net/profile/Klaus-Schmidt-4




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