Zitiervorteil ist starker Anreiz für Open Science in den Wirtschaftswissenschaften
ZBW-Studie zur Bedeutung von Open Science in den Wirtschaftswissenschaften zeigt Chancen und Herausforderungen
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Wirtschaftsforschung von einer primär theoretischen Disziplin hin zu einer empirisch geprägten Wissenschaft entwickelt. Technologische Fortschritte und der umfassende Einsatz von Daten haben dazu geführt, dass Wirtschaftswissenschaftler:innen zunehmend empirische Beweise in den Mittelpunkt ihrer Forschung stellen. Mit dieser Entwicklung wächst auch der Druck, Transparenz und Reproduzierbarkeit sicherzustellen – wesentliche Prinzipien der Open-Science-Bewegung.
Wie es um diese Offenheit und Reproduzierbarkeit in der Wirtschaftsforschung steht, hat eine aktuelle quantitative Studie der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft untersucht. Die Erhebung gibt Einblicke in die Nutzung von Open-Science-Praktiken unter Wirtschaftsforschenden in Deutschland und beleuchtet die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen.
Befragt wurden insgesamt 314 Wissenschaftler:innen aus den Fächern Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwesen und anderen wirtschaftswissenschaftlichen Fächern an Universitäten, an staatlichen Fachhochschulen bzw. Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, an privaten (Fach-)Hochschulen und an Forschungseinrichtungen innerhalb und außerhalb der Leibniz-Gemeinschaft. Erfasst wurden Informationen zu Bekanntheit, Einstellung, Anwendung sowie zu Barrieren und Anreizen hinsichtlich Open Science.
Wesentliche Ergebnisse sind folgende:
Welche Bedeutung haben Open-Access-Publikationen in der Literaturrecherche?
- Die Mehrheit der ökonomischen Forschenden (63,3 Prozent) sucht gezielt nach Open-Access-Literatur, wobei Google Scholar die bevorzugte Recherchequelle ist.
- Professor:innen an Fachhochschulen zeigen mit 77,4 Prozent das größte Interesse an frei zugänglichen Publikationen, gefolgt von Universitätsprofessor:innen mit 62,7 Prozent.
- Die Unterschiede zwischen den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen sind gering.
Welche Bedeutung hat die Verfügbarkeit von Daten und Code in der Literaturrecherche?
- Die Verfügbarkeit von Daten und Code neben wissenschaftlichen Artikeln ist für 39 Prozent der Befragten wichtig.
- Berücksichtigt man den akademischen Status der Befragten, haben Professor:innen mit 33,7 Prozent das geringste Interesse an der Bereitstellung von Forschungsdaten und Codes.
- Fachrichtungsspezifisch legen 47,7 Prozent der Volkswirt:innen besonderen Wert auf ergänzende Daten und Code, während dieser Aspekt nur für rund ein Drittel der Betriebswirt:innen und allgemeinen Wirtschaftswissenschaftler:innen relevant ist.
Welche Bedeutung hat Open Access für das eigene Publikationsverhalten?
- Open Access spielt für das eigene Publikationsverhalten nur eine untergeordnete Rolle. Der größte Anteil der eigenen Publikationen ist nicht Open Access.
- Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an Universitäten publizieren mit Abstand den höchsten Anteil ihrer Zeitschriftenaufsätze, nämlich fast 40 Prozent, direkt im Open Access.
- Volkswirt:innen haben einen höheren Open-Access-Anteil (31,9 Prozent) an ihren Gesamtpublikationen als Betriebswirt:innen (16,6 Prozent).
Welche Motivationen gibt es, im Open Access zu publizieren?
- Die Entscheidung für Open-Access-Publikationen wird hauptsächlich durch die Motivation begründet, Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen (81,4 Prozent) und durch die Überzeugung, dass öffentlich finanzierte Forschung auch öffentlich zugänglich sein sollte (69,3 Prozent).
- Externe Vorgaben spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, wobei 50 Prozent der Befragten Open Access aufgrund von Zeitschriftenvorgaben und 30,7 Prozent aufgrund von Anforderungen der Drittmittelgeber wählen. Institutionelle Vorgaben sind für 27,1 Prozent der Befragten relevant.
- Die größten Hindernisse für Wirtschaftsforschende, im Open Access zu publizieren, sind die hohen Gebühren für Autor:innen (68,5 Prozent), die Publikationspolitik der bevorzugten Zeitschriften (52,0 Prozent) und Bedenken hinsichtlich der Qualität von Open-Access-Journals (20,1 Prozent).
Wie wird mit wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsdaten gearbeitet?
- Von allen Befragten arbeitet die große Mehrheit – 88,8 Prozent – mit Daten.
- Die Studie zeigt, dass die Nutzung von Forschungsdaten an Universitäten (91,6 Prozent) deutlich höher ist als an Fachhochschulen (66,7 Prozent).
- Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen (92,7 Prozent) verwenden häufiger Daten als Professor:innen (81,6 Prozent).
- Hauptgründe für die Nutzung frei zugänglicher Daten sind die einfachere Handhabung (69,2 Prozent) und die Reproduzierbarkeit der Forschung (67,3 Prozent).
- Die Präferenz für offene Forschungsdaten variiert je nach Institutionstyp und akademischem Status, wobei Universitätsangehörige und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen besonders die Reproduzierbarkeit ihrer Forschung betonen.
Welche Software wird für die Verarbeitung von Forschungsdaten verwendet?
- Unter den Befragten, die mit Forschungsdaten arbeiten, ist R mit 55,3 Prozent die am häufigsten verwendete Analysesoftware in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, gefolgt von STATA (49,2 Prozent) und Excel (48,1 Prozent).
- Die Nutzung kostenloser oder freier Software wird hauptsächlich durch das Streben nach Unabhängigkeit (43,8 Prozent) und die Erleichterung der Reproduzierbarkeit der Forschungsergebnisse (35,5 Prozent) motiviert.
- Die Präferenz für freie Software variiert je nach akademischer Position und Institution, wobei finanzielle und institutionelle Einschränkungen besonders an Fachhochschulen und bei wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen eine wichtige Rolle spielen.
Warum werden Forschungsdaten publiziert?
- Die Mehrheit der Wirtschaftsforschenden, die mit Forschungsdaten arbeiten, veröffentlicht ihre Daten und Codes (62,5 Prozent), um die Glaubwürdigkeit ihrer Forschung zu stärken und die Ergebnisse einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
- Der Hauptgrund gegen die Veröffentlichung von Daten und Code ist der hohe Aufwand (66,1 Prozent), gefolgt von Bedenken hinsichtlich potenzieller Wettbewerbsnachteile (40,4 Prozent) sowie die fehlende Forderung durch Zeitschriften (37,4 Prozent).
Welche Barrieren und Anreize gibt es in den Wirtschaftswissenschaften hinsichtlich Open Science?
- Die meisten Befragten erkennen den grundsätzlichen Nutzen und die Notwendigkeit von Open Science an.
- Der größte Anreiz ist dabei die Aussicht, dass die Zitierhäufigkeit der eigenen Veröffentlichungen durch Open Science steigen könnte.
- Die größten Hindernisse für die Umsetzung von Open-Science-Praktiken sind rechtliche Bedenken (z.B. Urheberrecht und Datenschutz) und finanzielle Einschränkungen (z.B. Kosten für Open-Access-Publikationen).
- Zeitmangel für die Einarbeitung in Open-Science-Praktiken und fehlende Anerkennung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft sind weitere bedeutende Barrieren, die Forschende daran hindern, Open Science vollständig zu nutzen.
Die vollständige Studie mit dem Titel „Die Bedeutung von Open Science in den Wirtschaftswissenschaften“ steht hier zum Download bereit.
*Der Text wurde verfasst am 24. Oktober 2024