Open-Access-Transformation in der Wirtschaftsforschung
Was im Maschinenraum der Wissenschaft passiert – ZBW zieht andere Saiten auf
Über die Instrumente der Open-Access-Transformation
Das akademische Publikationswesen ist derzeit in großem Umbruch. Es soll komplett auf Open Access umgestellt werden. Freier Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen für alle. Ohne Hindernisse und kostenlos für die Rezipient:innen. Dies ist das politische Ziel der EU, der Bundesregierung, der Landesregierungen, der Wissenschaftsorganisationen und Förderorganisationen. Um die Open-Access-Transformation in den Wirtschaftswissenschaften als große Symphonie aufspielen zu können, muss folglich ein großes Orchester zusammenkommen.
Welche fünf Instrumente die ZBW spielt und was hinter den schillernden Kulissen der der Publikationswelt passiert, lesen Sie hier.
Der Transformationsprozess hin zu Open Access ist dynamisch und von einer Vielzahl verschiedener Ansätze und Akteure geprägt. Ein großes Orchester also. Eines der zentralen Ensemble-Mitglieder sind wissenschaftliche Bibliotheken, die eine wichtige Rolle bei der Förderung und Unterstützung der Open-Access-Transformation spielen. Die ZBW als Informationsinfrastruktureinrichtung für die Wirtschaftswissenschaften begleitet und gestaltet diese Open-Access-Transformation mit einem großen Instrumentenkoffer für ihre Fachcommunity aktiv mit.
Instrument 1: Verhandlung von Transformationsverträgen für Zeitschriftenpakete
Leibniz-Publikationen alle auf EconStor bereitgestellt
Für Fachzeitschriften spielen sogenannte Transformationsverträge eine immer größere Rolle. Dabei werden zwischen den jeweiligen Fachverlagen und den Forschungseinrichtungen nicht nur die Bedingungen des digitalen Zugangs zu den Journals geregelt, sondern für die beteiligten Forschenden auch die gleichzeitige Option, kostenfrei in diesen Zeitschriften im Open Access publizieren zu können. Neben der publizierenden Seite wird in der Regel auch die Versorgung erweitert, also der Zugriff auf das Spektrum wissenschaftlich relevanter Zeitschriften.
Die ZBW verhandelt solche Verträge etwa für die Leibniz-Gemeinschaft, u.a. für die Verlage Taylor & Francis, Emerald und DeGruyter. Darüber konnten im Jahr 2022 über 120 Zeitschriftenaufsätze von Leibniz-Forscher:innen direkt im Open Access publiziert werden. Alle Artikel werden dabei auch auf dem fachlichen Repository EconStor bereitgestellt.
Mit dem Verlag Emerald startet die ZBW 2023 sogar einen deutschlandweiten Transformationsvertrag, mit Taylor & Francis ist dies für 2024 geplant. Ergänzend dazu engagiert sich die ZBW in nationalen Initiativen wie Forum 13+, in dem Vertreter:innen verhandlungsführender Einrichtungen und verschiedener Verbände und Projekte an der Umsetzung der Open-Access-Transformation mit Verlagen arbeiten.
Instrument 2: Bereitstellung von Infrastrukturen für Transformationsverträge
ZBW setzt sich mit Kooperationspartnern ein für besseren Datenaustausch bei Transformationsverträgen – Mitgliedsvertrag organisiert mit OA Switchboard
Im Zuge der Open-Access-Transformation sind viele Akteure involviert: Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen sowie Bibliotheken und Verlage. Alle diese Akteure stehen vor der gemeinsamen Herausforderung, dass sie Open-Access-Richtlinien von Institutionen und Forschungsförderern umsetzen müssen, und dies vor dem Hintergrund immer komplexer werdender Vereinbarungen zwischen Verlagen und Einrichtungen – insbesondere im Bereich der Transformationsverträge.
Um die Zusammenarbeit zwischen diesen Akteuren zu koordinieren, zu überwachen und zu fördern, hat die ZBW zusammen mit TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften einen konsortialen Mitgliedsvertrag mit OA Switchboard unterzeichnet. Dabei handelt es sich um eine technische Infrastruktur, die die automatisierte Abwicklung des Publikationsmanagements und des Kostenmanagements von Transformationsverträgen unterstützt und dadurch Arbeitsabläufe vereinfacht.
Die drei Deutschen Zentralen Informationszentren finanzieren seit Ende 2022 für zwei Jahre die Teilnahme an der OA-Switchboard-Initiative für Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland. Durch die von den drei Informationszentren bezahlte Mitgliedschaft haben alle teilnehmenden Organisationen die Möglichkeit, den Dienst bis Ende 2024 ohne zusätzliche Gebühren zu nutzen.
Das OA Switchboard bietet eine zentrale Schnittstelle für den schnellen standardisierten Austausch von Informationen und Nachrichten zwischen Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen sowie deren Bibliotheken und Verlagen sowie Forschungsförderern. OA Switchboard wurde für einen reibungslosen Datenaustausch zwischen Verlagen und Institutionen entwickelt, um die Kommunikation zwischen den Akteuren über eingereichte Artikel und erfolgte Veröffentlichungen zu verbessern, indem es relevante Metadaten zum jeweiligen Artikel zeitnah und in einem einheitlichen Datenformat übermittelt. So kann das Tool Einrichtungen wie Bibliotheken oder Universitäten etwa bei der notwendigen Dokumentation von Open-Access-Publikationen der eigenen Forschenden unterstützen.
Instrument 3: Förderung von wissenschaftsgeleiteten Fachzeitschriften
Die Open Library Economics fördert nicht-kommerziellen Diamant Open Access für Zeitschriften in den Wirtschaftswissenschaften.
Die ZBW engagiert sich auf vielfältigen Wegen für die Open-Access-Transformation. Ein Baustein ist die Förderung von nicht-kommerziellen Open-Access-Zeitschriften. Unter dem Label „Open Library Economics“ – kurz OLEcon – fördert die ZBW seit 2021 verlagsunabhängige Zeitschriften in den Wirtschaftswissenschaften. Mit Finanzierung, Beratung und Hosting sollen Fachzeitschriften in akademischer Trägerschaft unterstützt werden, die unabhängig von Verlagen handeln wollen. Die ZBW unterstützt bei der Umstellung auf ein Open-Access-Geschäftsmodell ohne Autorengebühren, den sogenannten Diamant Open Access. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse sollen in wissenschaftlicher Hand bleiben.
Open Library Economics bietet den Zeitschriften eine Übergangsfinanzierung für den Wechsel und unterstützt beim Aufbau einer nachhaltigen alternativen konsortialen Finanzierung. Zudem bietet Open Library Economics den geförderten Zeitschriften umfassende Beratung bei der Umstellung auf Diamant Open Access sowie das Angebot, Journals in Kooperation mit TIB Open Publishing zu hosten.
Bei dem innovativen Publikationsdienst TIB Open Publishing ist der gesamte Publikationsprozess von Artikeleinreichung bis -veröffentlichung über die Open-Source-Software Open Journals Systems (OJS) organisiert. Neben dem Journal Hosting bietet TIB Open Publishing verlagsähnliche Leistungen. Das sind die halbautomatische Artikelproduktion über ein Template, Plagiatssoftware, Unterstützung bei der Indexierung, DOI-Registrierung sowie die Registrierung oder der Transfer der eISSN. Alternativ ist auch ein Verbleib bei einem anderen kommerziellen Verlag möglich, sofern dieser nur Dienstleister für die Publikation ist und die Entscheidungshoheit bei den Herausgeber:innen liegt.
2022 konnte OLEcon das European Journal of Economics and Economic Policies transformieren. Das Journal „European Journal of Economics and Economic Policies“ (EJEEP) ist eine wirtschaftswissenschaftliche Fachzeitschrift, welche als ein Forum für Studien makroökonomischer Theorie, ökonomischer Institutionen und Wirtschaftspolitiken dient. Zum 1. Januar 2023 wurde das Journal auf Diamant Open Access umgestellt.
Im Sommer 2022 führte die ZBW zudem als wissenschaftliche Begleitstudie zu OLEcon eine Befragung von Herausgeber:innen wirtschaftswissenschaftlicher Zeitschriften durch. Die Studie ergab Aufschluss darüber, welche Faktoren Herausgeber:innen als motivierend, und welche Faktoren sie als hinderlich für einen Umstieg „ihrer“ Zeitschrift auf Open Access sehen. Das OLEcon-Team vernetzte sich zudem in der Fokusgruppe scholar-led.network mit der Community von wissenschaftsgeleiteten Zeitschriften und deren Unterstützern. Die digitale Fokusgruppe ist Teil von dem durch das BMBF geförderten Informations- und Vernetzungsprojekt open-access.network.
Was ist ein scholar-led Journal?
Die wissenschaftlichen Zeitschriften sollen aus den Händen kommerzieller Verlage zurück in die Hände der Wissenschaft kommen. Das wird auch scholar-led oder wissenschaftsgeleiteter Open Access genannt. Es bedeutet, dass die Rechte am Zeitschriftentitel und damit die Entscheidungshoheit über alle Belange der Zeitschriften bei den Herausgeber:innen liegen. In manchen Fällen besitzt ein kommerzieller Verlag die Rechte am Zeitschriftentitel. OLEcon unterstützt Herausgeber:innen bei Verhandlungen, um diese Titelrechte zurück zu erhalten. OLEcon verwirklicht mit diesen Zielen zwei Kernforderungen der aktuellen Wissenschaftspolitik: (1) die Stärkung nicht-kommerzieller Infrastrukturen und (2) Open Access ohne Gebühren für Forschende und Lesende.
Linktipp: https://olecon.zbw.eu/
Instrument 4: Open-Access-Modelle für einzelne Verlagszeitschriften
ZBW und Wissenschaftsverlag Duncker & Humblot pilotieren Open-Access-Geschäftsmodell „Subscribe to Open“
Die ZBW kooperiert aktiv mit Wissenschaftsverlagen, um gemeinsam neue Modelle für die Open-Access-Transformation umzusetzen. Zusammen mit dem Wissenschaftsverlag Duncker & Humblot pilotiert die ZBW seit 2022 das innovative Modell „Subscribe to Open“.
„Subscribe to Open“ heißt: Institutionen und Bibliotheken, die zuvor die Zeitschriften abonniert hatten, investieren jetzt in den Wechsel der Zeitschriften zu Open Access. Die bestehenden Finanzierungsstrukturen, Abonnentenbeziehungen sowie Rechnungsworkflows der Zeitschriften werden nachgenutzt. Einrichtungen, die die Inhalte der jeweiligen Zeitschriften kennen und schätzen, abonnieren diese wie gewohnt weiter. Es fallen aber keine Autorengebühren oder sonstige zusätzliche Kosten für Leser:innen an. Solange der Verlag die Abonnement-Einnahmen wie gewohnt erhält, wird der jeweilige Zeitschriftenband und das Archiv im Open Access zur Verfügung gestellt. Wenn die Abonnement-Einnahmen jedoch signifikant sinken, kommen die neu erscheinenden Zeitschriftenbände wieder hinter eine Paywall und nur die Abonnent:innen haben weiterhin Zugang. Um die Transformation abzusichern, beteiligt sich neben den bestehenden Abonnent:innen daher auch die ZBW finanziell.
„Subscribe to Open“ stellt insbesondere in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine wichtige Brückenfunktion zu einer nachhaltigen Open-Access-Transformation dar.
Seit 2022 sind Credit and Capital Markets – Kredit und Kapitel (CCM) sowie das Journal of Contextual Economics – Schmollers Jahrbuch (JCE) im Open Access verfügbar. Zusätzlich digitalisieren die Kooperationspartner ZBW und Duncker & Humblot Archivjahrgänge der beiden Zeitschriften bis zurück zum Jahr 1948 (JCE) bzw. 1968 (CCM). 2022 wurden so mehrere Tausend Artikel frei verfügbar und nachnutzbar.
Prof. Nils Goldschmidt und Prof. Stefan Kolev, Mitherausgeber des JCE:
„Wir freuen uns sehr, dass wir Teil dieses Pilotprojektes sind. Unsere traditionsreiche Zeitschrift hat sich über die Jahre hinweg immer wieder gewandelt und neuen Realitäten angepasst – inhaltlich wie organisatorisch. Die im Projekt angelegte Digitalisierung früherer Jahrgänge wird die 150-jährige Geschichte dieser Zeitschrift in der Breite zugänglich machen.“
Prof. Hans-Peter Burghof, Mitherausgeber der Zeitschrift CCM:
„Wissenschaft lebt von der Offenheit für neue Ideen und vielfältige Perspektiven. Aber es gibt in der wissenschaftlichen Gemeinschaft immer auch die Tendenz zur Verengung. Man greift auf, was gerade en vogue ist, und publiziert, wo es der Karriere am meisten nutzt. Das ist angesichts der hohen Risiken einer Wissenschaftlerkarriere sehr verständlich. Es macht aber alle Bemühungen besonders wertvoll, Offenheit und Vielfalt der Wissenschaft in der jeweils zeitgemäßen Form zu sichern. Open Access in Verbindung mit dem Subscribe-to-Open-Konzept ist da ein besonders vielversprechender Weg, wissenschaftliche Qualität mit einer größtmöglichen Offenheit für die wissenschaftliche Gemeinschaft zu verbinden.“
Instrument 5: Open-Access-Modelle für Bücher
ZBW unterstützt den freien Zugang zu den Schriften des Vereins für Socialpolitik
Als nationale Informationsinfrastruktur für die Wirtschaftsforschung kooperiert die ZBW seit vielen Jahren aktiv mit Wissenschaftsverlagen, um die Open-Access-Transformation voranzubringen. 2022 wandelten die ZBW, der Verlag Duncker & Humblot und die Fachgesellschaft Verein für Socialpolitik die „Schriften des Vereins für Socialpolitik“ in ein Open-Access-Modell um. Titel dieser Buch-Reihe sind seit Mai 2022 nun digital unmittelbar bei Erscheinen frei verfügbar. Zusätzlich wurden 2022 die verfügbaren Archivjahrgänge bis zurück zum Jahr 1873 Open Access gestellt. Insgesamt sind jetzt über 700 Werke frei verfügbar und nachnutzbar.
Die ZBW trägt die Kosten für Produktion und Open-Access-Stellung der Reihe und macht die Titel auch über das Fachrepository EconStor zugänglich. Für die Autor:innen fallen mit diesem neuen Modell daher keine Gebühren an.
Der Verein für Socialpolitik ist eine der größten Vereinigungen von Wirtschaftsforschenden in Deutschland. Die Reihe „Schriften des Vereins für Socialpolitik“ besteht seit der offiziellen Gründung der Vereinigung im Jahr 1873. In der Reihe befinden sich Titel von bedeutenden Ökonom:innen wie Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek und Gustav Stolper.
Prof. Georg Weizsäcker, Ph.D., Vorstandsvorsitzender des Vereins für Socialpolitik:
„Über das Open-Access-Modell erhöhen wir die Sichtbarkeit und Auffindbarkeit unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse und stellen sie einer breiten Fachöffentlichkeit frei und kostenlos zur Verfügung. Wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit dem Duncker & Humblot Verlag und danken der ZBW für die Umsetzung.“
Am Rande erklärt: Library of Rights
Die größte Herausforderung bleibt es, Nutzer:innen direkt zum Volltext zu bringen. Für den weitaus größten Teil der Zeitschriften gilt, dass sie nur über eine Bibliothek genutzt werden können, die eine Lizenz hat. Die Verwaltung dieser Lizenzen ist aufwendig und pflegeintensiv, gerade im Zuge der Open-Access-Transformation, bei der verschiedene Lizenzierungsmodelle und –zeiträume getestet oder auch schon umgesetzt werden. Bestehende Systeme sind für diese Rechteverwaltung meistens nicht konzipiert, also muss eine andere Lösung gefunden werden.
Bei der ZBW soll diese Lösung die Library of Rights sein. Es handelt sich dabei um eine zusätzliche Datenbank, die dazu dient, für einzelne Zeitschriften oder auch ganze Zeitschriften-Pakete die Lizenzen zu erfassen. Über Schnittstellen zu den Nachweis- und/oder Hostingsystemen werden diese Bestimmungen abgefragt, sobald ein:e Leser:in zugreifen möchte, und der Zugriff autorisiert. Von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder werden der ZBW für die Realisierung zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt.