Die BWL muss sich weiter verwissenschaftlichen

Peter Walgenbach über Open Science in der BWL

Porträt von Prof. Dr. Peter Walgenbach

Die drei wesentlichen Learnings:

  • Auch in der BWL müssen Wissenschaftler:innen belegen, dass ihre Forschungsergebnisse belastbar sind.
  • Wer in der BWL akquirierte DFG-Drittmittel vorweisen kann, hat einen erheblichen Wettbewerbsvorteil.
  • Open Access gewinnt in der BWL an Bedeutung.

Welche Rolle spielt Open Science in der BWL nach Ihrer Einschätzung?

PW: Open Science spielt noch keine große Rolle, denn das Konzept ist noch relativ jung. Die Idee von Open Science ist deshalb noch nicht völlig in die BWL diffundiert. Die Vorstellungswelten, was Open Science eigentlich heißt, sind auch noch nicht sehr konkret. Die Situation verändert sich aber derzeit, da zum einen Journals in der BWL, wie in anderen Fächern natürlich auch, zunehmend umfassender die Datengrundlagen von Forschungsergebnissen abfragen. Die Journals wollen genauer sehen, wie die Datengrundlage aussieht und mit welchen Methoden die Forscher:innen gearbeitet haben, um zu prüfen, ob man die Schlussfolgerungen ziehen kann, die gezogen wurden. Hier ändert sich also das Feld durch die Selbstkontrolle der Community. Ich erwarte, dass in Zukunft – in Abhängigkeit von der Art des Datenmaterials – zunehmend häufiger auch die Datensätze, auf denen ein Papier basiert, bei den Journals miteingereicht werden müssen. Zum anderen denke ich auch, dass in Zukunft häufiger Datensätze nach Abschluss eines Forschungsprojekts anderen Wissenschaftler:innen zur Verfügung gestellt werden.

Inwieweit spielt eine Diskussion um Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit, wie wir es zum Beispiel vor ein paar Jahren in der Psychologie beobachten konnten, auch in der BWL eine Rolle?

PW: Das Thema Glaubwürdigkeit spielt eine massive Rolle. Man muss dazu sagen, dass die BWL ein vergleichsweise junges Fach ist. Mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung, die ich durchaus wahrnehme, tritt natürlich auch das Moment der Glaubwürdigkeit von Forschungsergebnissen stärker in den Vordergrund. Insofern sehen sich eigentlich alle damit konfrontiert. Ich kann das natürlich nur für meine Teildisziplin innerhalb der BWL darstellen, aber hier sehe ich, dass zunehmend systematischer abgeprüft wird, wo die Daten herkommen und ob die Forschungsergebnisse robust und glaubwürdig sind. Ich bin Mitherausgeber des Journals Organization Studies, und ich kann sagen, dass wir bei empirischen Papieren sehr genau auf die Datengrundlage schauen und prüfen, ob eine bestimmte Interpretation gerechtfertigt ist.

Welche Rolle spielt das Thema Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Open Science in der Ausbildung von Doktorand:innen?

PW: Das Thema „gute wissenschaftliche Praxis“ taucht schon im Studium auf. Es fängt nicht erst bei den Nachwuchswissenschaftler:innen an. Die Bachelor- und Masterstudierenden durchlaufen z.B. bei uns in Jena einen Kurs zu den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens. Hier werden diese Themen natürlich auch behandelt. Hier lernen sie, dass der Forschungsprozess sehr transparent dargelegt werden muss. Das BWL-Studium hat sich entwickelt und ist nicht mehr das, was es früher war, als eine Literaturanalyse noch für eine Abschlussarbeit reichte. Die Studierenden gehen immer häufiger selbst ins Feld und führen empirische Forschungsarbeiten durch. Zumindest ist das an meinem Lehrstuhl so. Die Studierenden müssen hier die gelernten grundlegenden Regeln wissenschaftlichen Arbeitens anwenden. Was für die Studierenden gilt, gilt für Nachwuchswissenschaftler:innen noch viel mehr. Hier wird jedoch auch die Erwartung kommuniziert, Daten oder entwickelte Forschungstools nach Abschluss eines Forschungsprojekts anderen Wissenschaftler:innen zur Verfügung zu stellen. Mein Lehrstuhl praktiziert dies entsprechend (siehe https://www.orga.uni-jena.de/forschung).

Die BWL wird immer wieder in ihrer Wissenschaftlichkeit hinterfragt. Muss sich die BWL daher mehr noch als andere Fachdisziplinen um gute wissenschaftliche Praxis, Nachvollziehbarkeit und Offenheit kümmern?

PW: Ja, die BWL hat ein massives Legitimitätsproblem, weil sie nicht von allen als Wissenschaft anerkannt wird. Das erfahre ich tagtäglich, wenn ich durch die Universität gehe. BWL ist aus Sicht einiger Disziplinen keine Wissenschaft. Das Problem haben zwar andere Fachdisziplinen auch, allerdings nicht so ausgeprägt. Oft heißt es, BWL sei systematisiertes Alltagswissen, und in der Ausbildung, im Studium, ist das auch in Teilen nicht ganz falsch, aber deswegen, zumindest aus meiner Sicht, nicht problematisch. BWL ist ein Massenbetrieb, der ausbildet für Unternehmen, Behörden und andere Organisationen. Die Absolvent:innen des Fachs wollen und müssen dort keine Wissenschaft betreiben oder wissenschaftlich arbeiten. Sie müssen aber in der Lage sein, kritisch zu reflektieren. Trotzdem muss sich die BWL weiter verwissenschaftlichen. Das erscheint mir wichtig, und dafür habe ich mich auch beim VHB, dem wissenschaftlichen BWL-Verband im deutschsprachigen Raum, eingesetzt. Und die BWL ist auf dem Weg dahin. Das ist ein langer und schwerer Weg. Und dieser Weg bedeutet, dass man bestimmte Vorteile, die man in der Vergangenheit hatte, nicht mehr nutzen kann, denn es geht zunehmend um Erkenntnisgewinn, der kompetitiv generiert wird. Das bedeutet, als Wissenschaftler:in muss ich belegen, dass mein Papier nicht „nur“ auf einer schnellen konzeptionellen Idee gründet, sondern ein belastbares Forschungsergebnis enthält. Diese Entwicklung findet seit Jahren statt. Und sie muss auch stattfinden, denn sonst ist nicht auszuschließen, dass passiert, was immer wieder im Wissenschaftsrat diskutiert wird, wofür hin und wieder Vertreter:innen der Hochschulrektorenkonfernz plädieren, nämlich dass die BWL an die Fachhochschulen gehört und nicht an die Universitäten. Das ist ein latentes Problem. Und ich glaube, dass sich einige Kolleg:innen darüber nicht wirklich oder nicht hinreichend bewusst sind. Momentan ist das Problem auch nicht akut, weil BWL viele Studierende anzieht, was für Universitäten nicht unerheblich ist.

Wie geht die BWL vor, um dieses Legitimitätsproblem strategisch anzugehen?

PW: Unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen und universitäre Entscheidungsgremien haben Maße, anhand derer sie die Leistungen einer Disziplin, aber auch die Qualität der Forschungsleistungen der einzelnen Mitglieder dieser Disziplin beurteilen. Die kann man akzeptieren und vielleicht auch problematisieren. Aber wir müssen uns als Fach, soweit es geht, an diesen Messgrößen der anderen Disziplinen, die bereits als legitime Wissenschaften gelten, orientieren. Das heißt zum Beispiel: Mehr Drittmittel bei der DFG akquirieren. Der VHB versucht seit Jahren, den Kolleg:innen zu vermitteln, dass es wichtig ist, DFG-Drittmittel einzuwerben. Wenn man an der Universität in ein Entscheidungsgremium kommt und sagt, „Ich bekomme doch meine Drittmittel von Unternehmen“, dann hat man ein ernsthaftes Legitimitätsproblem. Die einzige Währung, die zählt, ist Fördergeld von der DFG. Selbst Fördermittel vom BMBF sind hier schon die zweite Klasse der Drittmittel. Ich vermittle all meinen Mitarbeiter:innen, die eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben, dass es für ihre Bewerbungen wichtig ist, eingeworbene DFG-Drittmittel vorweisen zu können. Das ist im Moment ein riesiger Wettbewerbsvorteil. Die Entscheidungsgremien an Universitäten, die beispielsweise mit Vertreter:innen aus der Chemie, der Physik oder anderen Naturwissenschaften besetzt sind, schauen – insbesondere in diesen Zeiten, in denen „Exzellenz“ im Wettbewerb zwischen Universitäten großgeschrieben wird – sehr genau auf dieses Kriterium. Inwieweit in Zukunft Kriterien oder Vorstellungen von Open Science im Bemühen um mehr Legitimität eine Rolle spielen werden, darüber kann ich nur spekulieren. Aktuell spielen sie aus meiner Sicht jedoch noch keine größere Rolle.

Die DFG fordert dezidiert die Veröffentlichung im Open Access.

PW: Ja, deshalb müssen wir, auch wenn es noch nicht so viele reine Open Access Journale in meinem Teilfach, Organisation und Management, gibt, zumindest Preprints im Open Access zur Verfügung stellen, sei es nun via Preprint-Server, über die eigene Website oder über andere Wege. Die Entwicklung in der BWL geht jedoch, wenn auch noch sehr langsam, in Richtung Open Access, das zeigt beispielsweise die Open-Access-Option bei Hybridzeitschriften im Rahmen der DEAL-Vereinbarungen.

Welche Rolle kann Open Science für die Verwissenschaftlichung der BWL spielen?

PW: Nachhaltige Veränderung muss vor allem innerhalb einer Disziplin vollzogen werden. Mit Blick auf die BWL meint das sowohl die Verwissenschaftlichung als auch andere Transformationen. Die BWL will sich nicht nur zu den großen Herausforderungen dieser Zeit äußern und ihren gesellschaftlichen Impact stärker herausstellen, sondern sie will auch zeigen, dass Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit in ihrem Fach eine große Rolle spielen. Und hier wird – da bin ich mir sicher – das Offenlegen von Daten, Codes und Algorithmen künftig eine wichtige Rolle spielen.

Vielen Dank!

Das Interview wurde geführt von Dr. Doreen Siegfried.

Das Interview wurde geführt am 23.02.2022.

Über Prof. Dr. Peter Walgenbach

Prof. Dr. Peter Walgenbach leitet seit September 2008 den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre / Organisation, Führung und Human Resource Management an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2016 erhielt er den Humboldt-Award des Riksbanken Jubileumsfonds (Schweden). Peter Walgenbach ist seit 2014 Mitglied des Editorial Boards und seit 2015 Senior Editor der Zeitschrift Organization Studies. Er ist zudem Mitglied des Editorial Boards von Scandinavian Journal of Management, Journal of Management & Organization Studies und Mitglied des Editorial Advisory Boards der Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management. Peter Walgenbach war von 2019 bis 2020 Vorsitzender des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft. Zudem ist er Mitglied der European Group for Organizational Studies (EGOS) und der Academy of Management (AoM). Er ist Mitbegründer des internationalen Netzwerks New Institutionalism sowie des Center for Empirical Research and Behavioral Sciences, CEREB, der Universität Erfurt.

Kontakt: https://www.orga.uni-jena.de/team/prof-dr-peter-walgenbach

ResearchGate: https://www.researchgate.net/profile/Peter-Walgenbach-2




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