Die Entscheidungshoheit zurückerlangen – Open Library Economics

Ein Interview mit Dr. Juliane Finger

Foto von Dr. Juliane Finger

Foto: Pepe Lange

Die ZBW engagiert sich auf vielfältigen Wegen für die Open-Access-Transformation der Wirtschaftsforschung. Ein Baustein ist die Förderung von nicht-kommerziellen Open-Access-Zeitschriften. Unter dem Label „Open Library Economics“ – kurz OLEcon – fördert die ZBW seit 2021 verlagsunabhängige Zeitschriften in den Wirtschaftswissenschaften.

Der Kopf hinter dem Projekt Open Library Economics ist Dr. Juliane Finger. Die Psychologin und promovierte Kommunikationswissenschaftlerin hat langjährige Berufserfahrung im Bereich Open-Access-Transformation, insbesondere im Kontext der Implementierung von Open Access. Seit 2020 leitet sie das Projekt OLEcon in der ZBW.

Wie haben Sie sich für die Förderung von scholar-led Open Access engagiert und was inspiriert Sie dabei?

JF: Mit OLEcon ermöglichen wir Herausgeber:innen, die Entscheidungshoheit für wissenschaftliche Zeitschriften zurück zu erlangen bzw. zu behalten. Die Publikation der Zeitschriften erfolgt unabhängig von kommerziellen Verlagen. Verlage sind, wenn überhaupt, Dienstleister für die Publikation. Ich finde es sehr wichtig, dass OLEcon diese Alternative bietet und damit auch zu einer Vielfalt auf dem wissenschaftlichen Publikationsmarkt beiträgt. An meiner Arbeit gefällt mir auch der Kontakt zur Wirtschaftsforschung. Es ist toll, gemeinsam mit den Herausgeber:innen zu verwirklichen, dass die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsergebnisse für alle weltweit frei verfügbar und nicht mehr hinter einer Bezahlschranke versteckt sind.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Vorteile von scholar-led Journals für Forscher:innen?

JF: Forscher:innen können als Herausgeber:innen von scholar-led Journals selbst entscheiden, wie Forschungsergebnisse verbreitet werden. Die Zeitschriften können unabhängig von kommerziellen Interessen weiterentwickelt werden. Das ist im Interesse aller Forscher:innen, denn es geht um den Inhalt, nicht ums Geld. Es gibt zum Beispiel keinen Druck, im Jahr eine bestimmte Anzahl von Artikeln zu veröffentlichen, damit sich die Zeitschrift „rechnet“. Das trägt zu einer höheren wissenschaftlichen Qualität bei.

Die OLEcon-Zeitschriften erscheinen ja im Diamant Open Access, also ohne Kosten für Autor:innen oder Nutzer:innen. Für Forscher:innen als Autor:innen fällt damit die Hürde der Artikelgebühren weg. Das ist ein großer Vorteil. In der Befragungsstudie, die wir im Jahr 2022 durchgeführt haben, haben die Forscher:innen uns außerdem gesagt, dass sie den durch Open Access erleichterten Wissensaustausch, auch über Länder- und Disziplinengrenzen hinweg, als sehr großen Vorteil sehen.

Wie finanzieren sich scholar-led Journals und gibt es alternative Finanzierungsmodelle?

JF: Es gibt da verschiedene Modelle. Manche Zeitschriften sind über ihre Herausgeber:innen an Forschungsinstitute angegliedert und werden darüber finanziert. Diesen „Luxus“ haben aber nicht alle. Viele scholar-led Zeitschriften haben Finanzierungsprobleme. Sie sind unter Umständen mit Projektmitteln eine Zeitlang finanziert, ihnen fehlt aber eine langfristige Finanzierung. Manche Nachwuchsforscher:innen leiten die Journals in ehrenamtlicher Arbeit, oft in Selbstausbeutung. Zu diesem Thema hat die Fokusgruppe scholar-led.network 2021 ein Manifest verfasst, um auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen.

Mit OLEcon gehen wir die nachhaltige Finanzierung an. Wir bauen ein konsortiales Finanzierungsmodell für wissenschaftsgeleitete Zeitschriften in den Wirtschaftswissenschaften auf. Das bedeutet, dass wissenschaftliche Bibliotheken gemeinsam die nötigen Mittel für die Publikation von scholar-led Diamant Open Access aufbringen. Solche gemeinschaftlichen Finanzierungsmodelle werden international und auch in Deutschland bereits erfolgreich umgesetzt. Für geisteswissenschaftliche Zeitschriften beispielsweise von der „Open Library of Humanities“ (openlibhums.org) oder durch das Projekt KOALA. Durch die breite Basis von Beteiligten wird die Finanzierung stabil und nachhaltig.

Wie werden Manuskripte in einem scholar-led Journal überprüft und wer sind die Gutachter:innen?

JF: Das funktioniert normalerweise nicht anders als bei anderen wissenschaftlichen Zeitschriften, der übliche Mechanismus ist ein Peer-Review-Verfahren, also eine unabhängige Bewertung durch Gutachter:innen aus demselben Fachgebiet. Für eine Förderung durch OLEcon ist es Vorbedingung, dass Zeitschriften ein Peer-Review-Verfahren anwenden.

Wie wichtig ist die Mitwirkung der Gemeinschaft für den Erfolg eines scholar-led Journals?

JF: Aus meiner Sicht ist das sehr wichtig. Zunächst einmal setzt jede Zeitschrift für die Inhalte auf das Engagement aus der Forschungscommunity: Herausgeber:innen, Autor:innen und Gutachter:innen bringen ihre Arbeit ein. Dann ist zumindest bei OLEcon die Gemeinschaft wichtig für die Finanzierung. Es sind üblicherweise wissenschaftliche Institutionen und ihre Bibliotheken, die sich an der gemeinschaftlichen Finanzierung beteiligen. Die Mit-Finanzierer haben dabei nicht nur einen individuellen Vorteil, sondern tragen dazu bei, dass die wissenschaftlichen Artikel für alle weltweit frei verfügbar sind. Wenn zu wenige mitmachen, würde das Finanzierungsmodell scheitern. 

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Einführung und dem Wachstum von scholar-led Journals und wie kann man diese Herausforderungen angehen?

JF: Ich glaube, eine große Herausforderung ist momentan, dass viele etablierte Zeitschriften in den Händen großer kommerzieller Verlage sind. Und da ist es eben so, das haben wir auch in der Befragungsstudie gesehen, dass es auf der einen Seite Herausgeber:innen gibt, die fühlen sich wohl bei ihrem Verlag. Ein Wechsel zu einem anderen Publikations- und Finanzierungsmodell wäre für diese Gruppe ein Aufwand, für den sie keine Notwendigkeit sehen. Dafür haben wir an der ZBW ja auch andere Vorhaben, wo Open Access für Verlagszeitschriften möglich wird, zum Beispiel Subscribe to Open oder Transformationsverträge.

Auf der anderen Seite gibt es Herausgeber:innen, die ein starkes Interesse an mehr Selbstbestimmung haben und sich gerne vom Verlag lösen möchten. Diesen bieten wir mit OLEcon Unterstützung an und versuchen, den Prozess der Transformation für sie möglichst leicht zu machen. Einfacher wird es bei neu bzw. kürzlich gegründeten Zeitschriften, bei denen von Beginn an eine andere Situation vorliegt, was die Rechte und den Publikationsprozess angeht. Hier sehe ich ein großes Potential für das Wachstum von scholar-led Open Access.

Wo sehen Sie die Zukunft von scholar-led Open Access?

JF: Es gibt definitiv momentan viel Auftrieb für scholar-led Open Access. Es gibt zunehmend Forderungen aus der Wissenschaftspolitik, welche die Bedeutung von nicht-kommerziellen Diamant-Open-Access-Modellen hervorheben. Und auch betonen, dass die Entscheidungshoheit von Forscher:innen über die Verbreitung von Forschungsergebnissen geschützt werden sollte. 

Auch auf Seiten der Forscher:innen nehme ich einen Sinneswandel wahr. Es gibt zunehmend ein Bewusstsein dafür, dass das wissenschaftliche Publikationssystem nicht alleinig wenigen großen Verlagen überlassen werden sollte. Ich denke, es wird in Zukunft beide Modelle geben: Open Access in Verlagsregie, aber auch wissenschaftsgeleitete Modelle. Für letztere gibt es in den letzten Jahren innovative Entwicklungen von Publikationsformaten, die besonders von einer jüngeren Generation von Forscher:innen erprobt werden. Neben den klassischen Zeitschriften gibt es zum Beispiel in einigen Fächern bereits qualitätsgesicherte Wissenschaftsblogs wie beispielsweise Verfassungsblog.de, mittelalter.hypotheses.org als Form der Verbreitung von Forschungsergebnissen. Solche neuen Formate sind häufig von Anfang an unabhängig von kommerziellen Akteuren. Das sind spannende Entwicklungen.

Linktipps:

Hier der Link zum Manifest der Fokusgruppe scholar-led.network. DOI: 10.5281/zenodo.4925784

Alle Infos rund um OLEcon: https://olecon.zbw.eu/




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