Open Access erhöht den Impact und die Sichtbarkeit von Forschung
Dr. Bettina Höchli über ihre Open-Science-Erfahrungen
Die drei wesentlichen Learnings:
- Die Veröffentlichung insignifikanter Ergebnisse ist elementar für gute Forschung
- Die Verherrlichung des p-Werts in der Forschung nimmt ab
- Junge Forschende profitieren davon, von Anfang an Open-Science-Methoden anzuwenden
Frau Dr. Höchli, wie und wann sind Sie mit Open Science in Berührung gekommen?
BH: Das Thema Open Science hat mich seit Beginn meiner Dissertation an der Universität Bern begleitet. Zu jener Zeit, das war Ende 2015, wurde die Wissenschaft gerade von der Replikationskrise durchrüttelt. Ich selbst befand mich in einer Phase, in der ich das Wissenschaftssystem erstmal begreifen musste, insofern hat mich das damals sehr beschäftigt. Es gab aber auch einen konkreten Zugang zum Thema, da es in meinem Forschungsteam große Verfechter von Open Science gibt. Wir sind beispielsweise zu jener Zeit auf das Open-Source-Programm R umgestiegen, mit dem wir heute alle arbeiten. Aber auch Themen wie Präregistrierung und Open Access waren präsent. Darüber hinaus haben wir an der Uni Bern auch ein Open-Science-Team, das Weiterbildungen anbietet und Forschende bei der Anwendung der Methoden unterstützt. Das alles waren Ansatzpunkte, durch die ich für das Thema Open Science sensibilisiert wurde.
Was waren Ihre ersten eigenen Erfahrungen mit Open Science?
BH: Meine Dissertation wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. In meiner Arbeit habe ich mithilfe experimenteller Forschung untersucht, wie langfristige, übergeordnete Ziele die Zielverfolgung unterstützen können, mit Fokus auf Gesundheits- und Umweltverhalten. Dem SNF ist es sehr wichtig, dass Forschung, die von öffentlichen Mitteln gefördert ist, auch offen zugänglich ist. Das heißt, eine Veröffentlichung der Ergebnisse in Open-Access-Journals gehört zu den Bedingungen. Mich persönlich hat das damals zusätzlich motiviert, weil die Möglichkeit des offenen Zugangs in meinen Augen den Impact und die Sichtbarkeit von Forschung erhöht.
Rückblickend muss ich sagen, dass ich damals schon einen gewissen Druck verspürt habe, weil ich ja auch gut publizieren wollte – das geht sicher vielen jungen Forschenden so. Da hat man schon mal den Gedanken im Hinterkopf, dass für eine gute Veröffentlichung die Daten gut sein müssen, sprich die Hypothesen unterstützen, denn signifikante Ergebnisse lassen sich besser publizieren. Insofern ist der Anreiz klar: Dann will ich natürlich auch signifikante Resultate.
Das ist ja schon ein innerer Konflikt …
BH: Definitiv. Mich hat es sehr erleichtert, dass ich bei uns an der Uni von Anfang an in dem Wissen bestärkt wurde, dass gute Forschung nicht gleichzusetzen ist mit mit signifikanten Resultaten. Es stand immer im Vordergrund, mit sauberen Forschungsmethoden zu arbeiten, und es war klar, dass auch im Rahmen meiner Dissertation solche Publikationen möglich sind oder sogar gefördert werden. Dass eine Institution wie der SNF anhand seiner Leitlinien die Veröffentlichung in Open-Access-Journals explizit fördert, hat mir persönlich Druck genommen. Ich wusste, dass ich nicht abhängig davon bin, wie die Ergebnisse ausfallen, sondern dass es genügt, dass ich meine Forschung sauber betreibe.
Welche Methoden nutzen Sie heute bei Ihrer Forschung?
BH: Grundsätzlich versuche ich, in jedem Schritt des Prozesses so offen wie möglich vorzugehen. Das bedeutet, zunächst die Hypothesen klar zu spezifizieren, einhergehend mit einer Präregistrierung, die Studie mit genügender statistischer Power und entsprechender Stichprobengröße zu planen, und dann natürlich bei der Auswertung P-Hacking zu vermeiden. Die Datensätze, Auswertungscodes sowie Pre- oder Postprints versuche ich über das Open Science Framework öffentlich zugänglich zu machen.
Gibt es da ein konkretes Beispiel?
BH: Wir haben eine Feldstudie durchgeführt und so etwas kostet ja per se sehr viel Zeit, Mühe und auch Geld, um Personen im Feld zu rekrutieren und sie mehrere Monate zu begleiten. Es ging bei der Studie darum, Fahrradfahren im Alltag langfristig zu fördern. In den Resultaten haben wir zwar gewisse Ansätze gefunden, die unsere Hypothesen unterstützen, konnten aber nicht alle Hypothesen 1:1 bestätigen. Für mich war es erleichternd, dass daraus dennoch ein Paper entstanden ist, das wir publizieren konnten. Alles andere wäre zum einen auf persönlicher Ebene extrem frustrierend gewesen, denn die Arbeit haben wir ja dennoch hineingesteckt, und zum anderen natürlich auch für die Wissenschaft selbst, denn es sind dennoch wichtige Erkenntnisse. Vielleicht möchten andere Wissenschaftler:innen eine ähnliche Hypothese untersuchen, und dann helfen unsere Erfahrungen und Ergebnisse ja trotzdem. Ich denke, vor zehn Jahren wäre es noch deutlich schwieriger gewesen, solche Resultate zu publizieren.
Haben Sie das Gefühl, dass diesbezüglich ein Wandel stattfindet?
BH: Ja, man merkt schon, dass beispielsweise die Verherrlichung des P-Werts langsam abnimmt und Replikationen mehr und mehr Gewicht erhalten. Insgesamt sehe ich es gerade für junge Forschende wie mich als großen Vorteil, dass wir uns gemeinsam mit der Open-Science-Bewegung entwickeln und die entsprechenden Praktiken oder Tools von vornherein nutzen. Das ist sicherlich einfacher, als sich später umstellen zu müssen, wenn man seit Jahrzehnten anders geforscht hat.
Sehen Sie auch Hürden?
BH: Es ist natürlich spürbar, dass die Open-Science-Bewegung in der Übergangsphase ist und gewisse Dinge noch nicht gelöst sind. Es gibt noch immer viele gute Journals, die nicht im Open Access veröffentlichen – und gerade als junge:r Wissenschaftler:in lehnt man es ja nicht ab, in einem guten Journal zu publizieren, nur weil es kein Open-Access-Journal ist. So entsteht dann immer noch ein gewisser Publikation Bias. Außerdem ist es natürlich problematisch, dass man in Open-Access Journals häufig für Veröffentlichungen bezahlen muss. Die Ergebnisse sind dann zwar offen zugänglich, aber nicht alle Wissenschaftler:innen haben die erforderlichen Mittel, um dort zu publizieren. Daraus kann immer noch eine Ungleichheit entstehen.
Das Interview wurde geführt von Dr. Doreen Siegfried.
Das Interview wurde geführt am 04.05.2021.
Über Dr. Bettina Höchli
Bettina Höchli ist Postdoctoral Researcher in der Abteilung Consumer Behavior des Departments Betriebswirtschaftslehre an der Universität in Bern und Dozentin für Forschung und Entwicklung am Swiss Marketing Institute. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaft und Soziologie in Bern und Tokio war sie zunächst als Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institute, einem unabhängigen Schweizer Trendforschungsinstitut, tätig.
Kontakt: https://www.consumer.imu.unibe.ch/ueber_uns/team/dr_hoechli_bettina/index_ger.html
ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0002-0368-7165