Open Access international: Die Zukunft der Wissenschaft
Die ZBW gestaltet Open Access im weltweit vernetzten Wissenschaftssystem

Die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft nimmt eine zentrale Position in der Open-Access-Transformation des wirtschaftswissenschaftlichen Publikationsmarktes ein. Als Konsortial- und Verhandlungsführerin agiert die ZBW nicht nur als Vermittlerin zwischen Forschungseinrichtungen und Verlagen, sondern gestaltet aktiv die Rahmenbedingungen für die zukünftige Publikationslandschaft. Dies wird besonders im Zusammenhang mit den komplexen Verhandlungen und Transformationsverträgen deutlich, wie beispielsweise der Vereinbarung mit dem Wissenschaftsverlag Taylor & Francis.
Die Bedeutung der Transformation
Die Publikationswelt war seit Jahrzehnten von Subskriptionsmodellen geprägt, bei denen Institutionen kostenintensiv Zugang zu Forschungsergebnissen erworben haben. Für viele Einrichtungen waren diese Ausgaben kaum tragbar, was den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen eingeschränkt hat. Selbst zu ihren eigenen Arbeiten hatten Wissenschaftler:innen häufig keinen freien Zugang. Diese Situation behinderte den wissenschaftlichen Austausch und widersprach dem Prinzip einer offenen Wissenschaft.
Durch massiven Druck und Engagement von Seiten der Wissenschaft, Bibliotheken und Infrastruktureinrichtungen, wissenschaftspolitischer Gremien und Forschungsförderer und letztlich durch gesetzliche Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene hat sich diese Situation inzwischen deutlich verändert. Open Access macht Publikationen frei zugänglich – unabhängig von geografischen, institutionellen oder finanziellen Hürden. Dies fördert den wissenschaftlichen Diskurs, macht Forschung sichtbarer und erhöht in der Folge deren gesellschaftlichen Nutzen.
Eine zentrale Veränderung betrifft das Geschäftsmodell der Verlage: Statt Subskriptionen zu verkaufen, werden Verlage für ihre Dienstleistung – etwa die Organisation von Peer Reviews, die Publikation und Qualitätssicherung – bezahlt. „Wir sprechen hier von der Transformation eines gesamten Marktes hin zu einem anderen Finanzierungsmodell“, erklärte Jens Lazarus, Leiter des Bestands- und Lizenzmanagements der ZBW.
Diese Umstellung verlangt Anpassungen in der Wissenschaftsfinanzierung. Während bisherige Modelle die Kosten auf den Zugang konzentrierten, wird nun das Publizieren selbst finanziert. Einrichtungen, die viel veröffentlichen, benötigen mehr Mittel, während andere weniger zahlen müssten. Die Einführung neuer Verteilungsmodelle ist daher komplex und konfliktbehaftet. Lazarus betont die Notwendigkeit langfristiger Perspektiven: „Wir brauchen Geduld, um diese neuen Strukturen zu etablieren.“
Die Rolle der ZBW als Verhandlungsführer
Die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft übernimmt eine führende Rolle bei der Open-Access-Transformation des wissenschaftlichen Publikationsmarktes. Diese Aufgabe umfasst nicht nur die Koordination von Konsortien wissenschaftlicher Bibliotheken, sondern auch die aktive Gestaltung und Aushandlung von Rahmenbedingungen, die den Bedürfnissen der unterschiedlichen Wissenschaftseinrichtungen gerecht werden.
Als Verhandlungsführerin tritt die ZBW in direkten Dialog mit Verlagen und entwickelt gemeinsam mit Partnern innovative Vertragsmodelle, die Open Access fördern. Ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung dieser Rolle ist der Vertrag mit Taylor & Francis. Nach langwierigen Verhandlungen gelang es, ein nachhaltiges Modell zu etablieren, das Open Access ermöglicht, ohne die beteiligten Institutionen finanziell zusätzlich zu belasten. Ziel des Vertrags war es, eine faire Balance zwischen den Interessen der Verlage und den Bedürfnissen der Wissenschaftseinrichtungen zu schaffen. So konnten die Wissenschaftler:innen von den Vorteilen der offenen Publikation profitieren, während der Verlag eine stabile Grundlage für sein Geschäftsmodell erhielt. 2024 wurden unter diesem Vertrag 1.377 Publikationen aus teilnehmenden Einrichtungen im Open Access veröffentlicht; das sind etwa zwei Drittel aller Publikationen aus Deutschland bei Taylor&Francis.
Die Verhandlungen offenbarten jedoch die Komplexität des Transformationsprozesses. Unterschiedliche Publikationszahlen zwischen den beteiligten Einrichtungen, hybride Modelle, bei denen Artikel eines Journals sowohl im Open Access als auch hinter einer Paywall veröffentlicht werden, und Unsicherheiten über zukünftige Entwicklungen erschwerten die Festlegung langfristiger Vereinbarungen. „Wir mussten feststellen, dass ein langfristiger Vertrag mit einem belastbaren Modell derzeit nicht realisierbar ist“, erklärte Jens Lazarus, Leiter des Bestands- und Lizenzmanagements der ZBW. Stattdessen wurde ein Vertrag mit kürzerer Laufzeit abgeschlossen, um Flexibilität für zukünftige Anpassungen zu bewahren.
Die Erfahrung aus den Verhandlungen mit Taylor & Francis unterstreicht, wie wichtig es ist, realistische Erwartungen an die Transformation zu haben und gleichzeitig den Dialog zwischen Verlagen und Wissenschaftseinrichtungen zu stärken. Die ZBW setzt hierbei auf Transparenz und Kooperation, um langfristig tragfähige Lösungen zu finden.
Internationale Kooperationen als Schlüssel
Die Open-Access-Transformation kann nur im internationalen Kontext erfolgreich umgesetzt werden. Wissenschaftliche Verlage kalkulieren ihre Geschäftsmodelle global, und nationale Alleingänge bieten ihnen oft Spielräume, um bestehende Strukturen aufrechtzuerhalten. Europa und Nordamerika sind derzeit Vorreiter bei der Umsetzung von Open Access. Besonders europäische Forschungsförderer haben frühzeitig klare Positionen zugunsten von Open Access bezogen und dadurch einen wichtigen Impuls gegeben.
Asien, als wachsender Markt für wissenschaftliche Publikationen, spielt ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle. Obwohl dort andere Marktdynamiken herrschen, zeichnet sich auch dort eine zunehmende Akzeptanz für Open Access ab. Jens Lazarus betont die Bedeutung dieser globalen Vernetzung: „Nur durch eine enge internationale Abstimmung können wir sicherstellen, dass Open Access weltweit zum Standard wird.“
Diese internationalen Kooperationen ermöglichen es auch, eine größere Hebelwirkung gegenüber den Verlagen zu erzielen. Konsortien, die über nationale Grenzen hinausgehen, können stärker auftreten und dadurch bessere Bedingungen für Wissenschaftseinrichtungen aushandeln.
Künstliche Intelligenz und das wissenschaftliche Publikationswesen
Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz hat auch im Bereich des wissenschaftlichen Publikationswesens neue Herausforderungen und Chancen geschaffen. KI-Systeme benötigen große Datenmengen, um effizient zu funktionieren, und wissenschaftliche Publikationen stellen hierfür eine wertvolle Ressource dar.
Die Nutzung von Publikationen für KI-Anwendungen wirft rechtliche und lizenzrechtliche Fragen auf, insbesondere im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Verlagen. Während erstere sich auf die urheberrechtliche Schrankenregelung berufen, um KI-Modelle mit Publikationsdaten trainieren zu können, begegnen viele Verlage demgegenüber defensiv mit restriktiven Klauseln zum Schutz ihrer Geschäftsmodelle.
Da es in diesem Bereich noch keine abschließende rechtliche Klärung gibt, bleiben viele Fragen offen, die noch von der Rechtsprechung entschieden und entsprechend beantwortet werden müssen, um die Nutzungsmöglichkeiten klar zu definieren. Die Lizenz- und Rechtsabteilung der ZBW befasst sich hier mit diesem Thema, um den Umgang mit den eigenen Herausforderungen im bestehenden rechtlichen Rahmen zu unterstützen und den Bedürfnissen der ZBW als Wissenschaftseinrichtung, als auch den Interessen der Verlage adäquat Rechnung zu tragen.
Gleichzeitig birgt die Integration von KI Potenzial: Sie kann den Begutachtungsprozess beschleunigen, die Analyse großer Datenmengen erleichtern und neue Erkenntnisse fördern. Doch Jens Lazarus von der ZBW warnt davor, dass ohne klare Regeln und faire Lizenzierungsmodelle die Innovation an der durch öffentliche Mittel finanzierter Wissenschaft vorbeilaufen könnte. Die wissenschaftliche Gemeinschaft steht daher vor der Aufgabe, einen Weg zu finden, der den Nutzen von KI öffnet, ohne dabei die Rechte der Urheber:innen und die Interessen der Verlage zu verletzen. Eine offene und rechtssichere Handhabung von Publikationsdaten für KI könnte zu einem neuen Meilenstein in der Wissenschaftskommunikation werden – vorausgesetzt, die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden gemeinsam gestaltet.

Hörtipp:
Open-Access-Transformation im wissenschaftlichen Publikationsmarkt
In der 42. Podcastfolge von „The Future is Open Science“ berichtet Jens Lazarus über seine Verhandlungen mit Taylor & Francis, dem weltweit viertgrößten Wissenschaftsverlag, und gibt Einblicke in den Einfluss der KI auf die Entwicklung von Open Access.
Dauer 52 Minuten.
*Dieser Beitrag wurde verfasst am 17. April 2025