Publizieren im Wandel
Digitale Strukturen und neue Rahmenbedingungen für die Wirtschaftswissenschaften

Die Digitalisierung hat das wissenschaftliche Publikationssystem in den vergangenen Jahrzehnten tiefgreifend verändert. Für Forschende in den Wirtschaftswissenschaften ergeben sich daraus nicht nur neue technische Möglichkeiten, sondern auch verschärfte Anforderungen an Sichtbarkeit, Reputationsbildung und strategische Publikationsentscheidungen. Die Transformation ist nicht abgeschlossen – sie entwickelt sich entlang disziplinärer Eigenlogiken, technischer Innovationen und ökonomischer Interessen weiter.
Disziplinspezifische Kommunikationsstrukturen
In den Wirtschaftswissenschaften hat sich über Jahrzehnte ein klar strukturierter Kommunikationsmodus etabliert: Die Veröffentlichung in referierten Zeitschriften mit hohem Journal Impact Factor gilt als maßgeblicher Reputationsindikator. Working Papers und Preprints spielen in dieser Disziplin eine ergänzende Rolle – sie dienen der frühzeitigen Verbreitung und Diskussion von Forschungsergebnissen, fungieren aber nur bedingt als formaler Leistungsnachweis.
Digitale Repositorien wie RePEc, SSRN oder EconStor sind in der Disziplin fest verankert. Sie ermöglichen es, Manuskripte zeitnah zugänglich zu machen und damit in frühen Projektphasen Sichtbarkeit zu erzeugen. Besonders in der empirischen Wirtschaftsforschung sind der Zugang zu offenen Daten, die Nachvollziehbarkeit von Analysen und die schnelle Publikation von Preprints zunehmend relevant. Damit eröffnen sich für Forschende neue Wege, Einfluss zu generieren, ohne auf langwierige Review-Verfahren angewiesen zu sein.
Open Access: Potenziale und disziplinspezifische Umsetzung
Für Wirtschaftsforschende ist Open Access eine ambivalente Entwicklung. Zwar erlaubt der freie Zugang eine breitere Dissemination von Forschungsergebnissen, doch ist der disziplinspezifische Nutzen abhängig vom Publikationsort. Journals mit hoher Sichtbarkeit und etablierten Peer-Review-Verfahren haben im Hinblick auf Reputationsbildung weiterhin Vorrang gegenüber Open-Access-Publikationen mit niedrigem Impact-Faktor. Die Entscheidung für Open Access kann daher strategisch motiviert sein – etwa zur Einhaltung von Fördervorgaben oder zur breiteren Verfügbarkeit praxisrelevanter Ergebnisse.
EconStor, das Open-Access-Repositorium der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, hat sich dabei als zentrale Infrastruktur im deutschsprachigen und zunehmend auch internationalen Raum etabliert. Forschende und Institutionen können dort Working Papers, Zeitschriftenartikel, Konferenzbeiträge oder Reports kostenfrei veröffentlichen. EconStor ist in RePEc eingebunden und gewährleistet damit die internationale Sichtbarkeit der eingestellten Publikationen. EconStor bietet eine verlässliche Möglichkeit der langfristigen Verfügbarkeit und Zitierfähigkeit.
Ergänzend dazu adressiert OLEcon (Open Library Economics) eine strukturelle Lücke im Bereich Diamond Open Access. Das von der ZBW koordinierte Publikationsprojekt unterstützt wirtschaftswissenschaftliche Fachzeitschriften dabei, vollständig kostenfrei für Autor:innen und Leser:innen zugänglich zu sein. OLEcon stellt technische Infrastruktur, Beratung und Hosting bereit und trägt zur Professionalisierung wissenschaftlicher Zeitschriften bei, ohne ökonomische Barrieren zu schaffen. Damit wird ein alternatives Modell zur dominierenden APC-Finanzierung angeboten, das insbesondere für kleine Fachzeitschriften im deutschsprachigen Raum von Relevanz ist.
Neue Geschäftsmodelle und institutionelle Steuerung
Die Digitalisierung hat zur Etablierung neuer Verlagsmodelle geführt, in denen Publikationsleistungen und Sichtbarkeit zunehmend ökonomisch vermittelt sind. Forschende in den Wirtschaftswissenschaften müssen sich in einem Umfeld positionieren, in dem Publikationsgebühren, Lizenzmodelle und institutionelle Vereinbarungen (wie DEAL) direkten Einfluss auf die Wahl des Publikationsortes haben.
Diamond-Open-Access-Modelle wie OLEcon zeigen, dass auch disziplinorientierte Alternativen zur profitorientierten Verlagslogik erfolgreich aufgebaut werden können. Die disziplinübergreifende Finanzierung durch Bibliotheken, Hochschulen oder Fachgesellschaften bietet langfristig stabile Modelle, die unabhängig von APCs funktionieren. In den Wirtschaftswissenschaften ist die institutionelle Unterstützung solcher Formate zentral, um Sichtbarkeit und Qualität langfristig zu sichern.
Qualitätsprüfung und Nachvollziehbarkeit
Peer Review bleibt das zentrale Verfahren zur Qualitätssicherung. Für die Wirtschaftswissenschaften gilt dies insbesondere bei theoretischen und quantitativen Studien. Digitale Tools eröffnen allerdings neue Optionen: Open-Peer-Review-Modelle und die Veröffentlichung von Begutachtungen können die Transparenz erhöhen. Zudem gewinnen Nachweise über geteilte Datensätze, Replikationsstudien und dokumentierte Methodenanwendungen an Relevanz – etwa im Rahmen von Open Science Policies.
Wirtschaftsforschende, die sich frühzeitig auf diese Formate einstellen, können sowohl Sichtbarkeit als auch wissenschaftliche Anschlussfähigkeit ihrer Arbeit erhöhen. Dabei stellt sich zunehmend die Frage, inwiefern sich traditionelle Metriken wie der Journal Impact Factor als alleiniger Maßstab halten lassen oder ob alternative Indikatoren – etwa Downloads, Datenzitierungen oder Sichtbarkeit in Repositorien wie EconStor – ergänzend zu berücksichtigen sind.
Strategische Orientierung gefragt
Für Forschende in den Wirtschaftswissenschaften ergeben sich aus der Digitalisierung des Publikationssystems neue Gestaltungsspielräume – aber auch erhöhte Komplexität. Sichtbarkeit, Reputationsgewinn und Anschlussfähigkeit lassen sich heute über unterschiedliche Wege erzielen. Eine differenzierte Publikationsstrategie, die sowohl disziplinspezifische Anforderungen als auch institutionelle Rahmenbedingungen berücksichtigt, wird damit zunehmend relevant.
Sozio-technologische Infrastrukturen wie EconStor und Initiativen wie OLEcon zeigen, dass Open Access im wirtschaftswissenschaftlichen Feld nicht nur technisch möglich, sondern auch strukturell tragfähig ist. Forschende können durch aktive Nutzung solcher Angebote dazu beitragen, den Wandel des Publikationssystems nicht nur nachvollziehend zu begleiten, sondern auch mitzugestalten.
HÖRTIPP:
In Folge 33 des Podcasts „The Future is Open Science“ erläutert Marcel Wrzesinski, Herausgeber der Handreichungen „Wissenschaftsgeleitetes Publizieren. Sechs Handreichungen mit Praxistipps und Perspektiven“, was es mit Diamond Open Access auf sich hat und wie es konkret funktioniert. URL: https://podcast.zbw.eu/fos/2023/09/20/fos-33-erfolgreiches-scholar-led-publizieren/ Dr. Juliane Finger, Managerin von OLEcon, erläutert in Folge 13 des selben Podcasts, wie genau OLEcon funktioniert. URL: https://podcast.zbw.eu/fos/2021/10/19/fos-13-neue-modelle-fuer-den-publikationsmarkt/
*Dieser Beitrag wurde verfasst am 9. April 2025